Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Galileis Freundin (German Edition)

Galileis Freundin (German Edition)

Titel: Galileis Freundin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
Vom Netzwerk:
draußen überhaupt noch Menschen? Wozu hätte es sie geben sollen? Durch das offene Bogenfenster drang das Krächzen einer Elster. Eine Amsel flötete. Caterina versank erneut in einen Dämmerschlaf. Sie erwachte. War es der dritte Tag oder der fünfte? Stille um sie herum. Ein entsetzlicher Durst quälte sie.
    Die starre Dunkelheit des Himmelsraumes nahm sie wieder auf. Riesige, schwarze Gebilde, sich drehende Kreise und Spiralen fielen mit ungeahnten Geschwindigkeiten drohend auf sie ein. Die Angst der Unendlichkeit erfasste sie. Geisterhafte Ungetüme und bedrohende, teufl i sche Ungeheuer stürzten sich auf sie. Sie verlor ihren Halt, entschwand in einer bodenlosen Tiefe. Auf der anderen Seite spürte sie die Freiheit des grenzenlosen Fliegens. Sie öffnete die Lider. Durch das offene, glaslose Fenster fiel die Sonne direkt in ihr Gesicht. Ihre Augen waren geblendet.
    ‘Konnte sie besser sehen als zuvor? Besser als beim letzten Aufwachen?’
    Sie schaute auf ihren Körper. ‘Waren die Pusteln kleiner geworden? Oder irrte sie sich?’
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht schaute sie neugierig auf einige aufgeplatzte, schwarze Bl a sen. Sie fühlte sich stärker als noch beim letzten Wachsein. Langsam, mit übermenschlicher Kraftanstrengung streifte Caterina ihr Nachtgewand über den linken Arm zurück, bis die Haut. vollständig zu sehen war. Sie ekelte sich vor den schwelenden Pestbeulen. Das Drama der Se u che stieß die vom Tod Gezeichnete in eine kalte, grausame Einsamkeit. Doch nur für wenige Augenblicke. Der Lichtschein am Fenster erhellte auch für einen kurzen Moment ihre Sinne. Die stinkenden Beulen hatten sich nicht vermehrt.
    ‘Ich lebe’, stieß sie lautlos hervor.
    Allein dieser Gedanke raubte ihr erneut das Bewusstsein . Bei dem nächsten Erwachen griff die einsame Gräfin zum Wasserkrug. Die letzten Schlucke rannen ihr über die schmerzenden Lippen, der Krug fiel aus der Hand und zerschellte auf dem Steinboden. Bald wusste sie, dem Leben zurückgegeben worden zu sein .
    Die erneuerte Kraft in ihrem Körper zeigte ihr deutlich, dass sie die schreckliche Seuche übe r lebt hatte. Es mochten Tage, vielleicht eine oder zwei Wochen vergangen sein. Ein entsetzl i cher Hunger quälte sie. Doch wagte sie es nicht, etwas zu essen. Die folgenden Stunden und Tage vergingen mit Schlafen und Wachen. Jeder Schlaf war erholsamer als der vorhergegang e ne. In ihren wachen Zuständen betrachtete sie mit weit geöffneten Augen die Zimmerdecke und die bemalten Wände. Die Vorhänge um das umrandete Bett aus Seide und deutschem Li n nen waren zurückgezogen. Das unbedachte Bett erlaubte ihr einen Blick auf die bunten Orn a mente und die Schnitzereien im Balkenwerk der Zimmerdecke. In einige Freskenmalereien an den Wänden hatte sich die Gräfin schon in ihren Kindheitstagen verliebt. In lebendigen, präc h tigen Farben flatterten große, bunte Vögel zwischen exotischen Bäumen. Eine phantastische Landschaft, die ihr in den traurigen Tagen ihrer Einsamkeit und Krankheit ein wenig Zuversicht schenkte. Am Kopfende des Bettes spendete in einem phantasievollen leuchtenden Gemälde die Mutter Gottes mit dem Jesuskind auf dem Arm Kraft und das Vertrauen in eine neue Z u kunft. Die ‘Coltre’, die Bettdecke aus Seide, war längst ausgetauscht gegen die wärmere De c ke aus französischem Tuch, die innen mit Fehfellen, dem Pelz des sibirischen Eichhörnchens, gefüttert war. Als sie unter die warme Decke gekrochen war, hatte sie sich mit Tränen in den Augen an ihren geliebten Vater erinnert, der ihr nach einer langen Reise diese wärmende Decke geschenkt hatte.
    Zwischenzeitlich stieg Caterina in die unteren Räume. Sie bereitete sich ein kärgliches Essen, nahm ein wenig Nahrung zu sich. Langsam kehrte die Energie in den Körper zurück. Einige offene Wunden schmerzten noch. Es wurden immer weniger. Bald schaffte sie es, sich anz u kleiden.
    An den starken Mauern der Burg Picchena kroch die Kälte unter den Ritzen der Türe und Tore durch, schwang sich die breiten Steinstufen hoch und hielt sich an jedem Fußboden und jeder Wand fest. Es war an der Zeit, ein Feuer zu entfachen, um die kalten Räume ein wenig zu e r wärmen und alle Krankheiten aus dem Gebäude zu verjagen. Ihr geschwächter Körper war anfällig gegen jede Art der Infektion. Der Pest durfte nicht die Lungenentzündung oder die Schwindsucht folgen.
    Durch die geöffneten Fenster im ersten Stock, in dem sich alle Schlafräume befanden, fielen die funkelnden

Weitere Kostenlose Bücher