Garten des Lebens
Freundschaft der beiden Mädchen nicht guthieß. Jetzt, als Erwachsene, konnte sie diese Empfindungen besser verstehen. Ihre eigene Unzufriedenheit hatte Mrs. Bronson so kalt und missgünstig werden lassen.
Susannah wartete, bis ihre Mutter den Becher abgesetzt hatte. Dann wagte sie sich an das Thema “Betreutes Wohnen”. “Du fühlst dich in diesem großen Haus doch sicher ein wenig verloren”, begann sie beiläufig.
Ihre Mutter starrte sie an. “Überhaupt nicht.”
“Bist du einsam?”
Ein leichtes Lächeln umspielte Vivians Mundwinkel. “Das war ich – bis dein Vater zurückkam, um mich zu sehen.”
“Mom …” Susannah unterdrückte den Wunsch zu widersprechen. Sie befürchtete, dass ihre Mutter jeglichen Bezug zur Realität verloren hatte und sich nun in ihrer eigenen Traumwelt einrichtete.
Vivian musterte sie, als erwartete sie einen Kommentar zu den Besuchen ihres Vaters.
“Also, Mom …” Susannah atmete tief durch und nahm all ihren Mut zusammen. “Es gibt etwas, worüber wir reden müssen.”
“Worüber?”, fragte ihre Mutter.
“Mom”, sagte Susannah und hoffte, sie würde die richtigen Worte wählen. “Ich mache mir Sorgen um dich, weil du hier ganz allein bist – vor allem, weil Martha nicht mehr da ist.”
“Das musst du nicht”, erwiderte Vivian und tat Susannahs Bedenken ab. “Mir geht's wirklich gut.”
“Könntest du dir vorstellen, nach Seattle zu ziehen?” Das würde alle Probleme auf einen Schlag lösen, aber noch während sie die Frage stellte, war sich Susannah im Klaren darüber, das ihre Mutter Nein sagen würde.
“Und Colville verlassen?” Ihre Mutter schien darüber nachzudenken, doch schließlich schüttelte sie den Kopf. “Das kann ich nicht. Selbst wenn ich mir wünschen würde, näher bei dir und meinen Enkelkindern zu sein – ich werde mein Haus nicht verlassen.”
Susannah wusste, dass sich Vivian vor Veränderungen jeder Art fürchtete.
“Doug und dein Vater sind hier begraben”, fuhr ihre Mutter fort.
“Mom …”
“Meine Freunde sind hier.”
Von denen die meisten bereits tot waren oder im Sterben lagen – doch auch das konnte Susannah nicht laut aussprechen. “Ich könnte dich dann aber viel öfter besuchen”, erwiderte Susannah und hoffte, dass sie ihrer Mutter die Vorteile eines Umzuges damit schmackhaft machen könnte.
Vivian trank ihren Kaffee. Sie hielt die Tasse einen Moment länger an ihre Lippen als sonst. Es schien, als würde sie das Angebot noch einmal überdenken. Langsam schüttelte sie den Kopf. “Es tut mir leid, mein Schatz, aber hier ist mein Zuhause. Seattle ist viel zu groß für mich. Ich würde mir verloren vorkommen.”
Susannah beugte sich vor und ergriff die schmale Hand ihrer Mutter. “Es gibt noch mehr, was wir besprechen müssen. Mom, ich fürchte, dieses Haus ist einfach zu groß für dich.”
“Wie meinst du das?” Anspannung lag in ihrer Stimme.
“Es ist nicht gut, wenn du hier ganz allein bist und versuchst, dich um die Instandhaltung des Hauses zu kümmern und …”
“Unsinn.”
“Wer soll denn zum Beispiel den Gehweg kehren, wenn es schneit?”
“Ich bitte einen Nachbarsjungen darum.”
“Was würdest du tun, wenn ein Wasserrohr bricht?”
“Die Rohre sind vollkommen in Ordnung, Susannah. Sei nicht albern.”
Susannah glaubte nicht, dass
sie
diejenige war, die albern war. Je mehr sie über die Probleme nachdachte, die ältere Menschen mit dem Alleinleben bekamen – besonders, wenn sie allmählich ihr Gedächtnis verloren –, desto unruhiger und besorgter wurde sie.
“Ich weiß nicht, warum du den weiten Weg von Seattle zu mir auf dich genommen hast, um mir dann so einen Unsinn zu erzählen”, sagte Vivian mürrisch.
Susannah fiel wieder ein, was Mrs. Henderson ihr am Telefon erzählt hatte, wie sich ihre Mutter nach dem Gespräch im März bei ihr darüber beschwert hatte, Susannah würde sie aus ihrem Haus vertreiben wollen. Vielleicht reagierte Vivian deshalb heute so unwillig – falls sie sich überhaupt an die Unterhaltung von damals erinnerte. Insgeheim hatte Susannah gehofft, dass Vivian, wenn sie ihr erst den praktischen Nutzen vor Augen führte, vielleicht selbst die Vorteile eines Umzugs in eine Einrichtung für betreutes Wohnen erkennen würde. Doch offensichtlich war dieser Versuch erfolglos.
“Mom, ich denke, wir müssen das Haus verkaufen.”
“Was?” Vivian riss die Augen auf und stellte ihren Kaffeebecher so heftig auf den Unterteller, dass das
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