Gefaehrliche Verstrickung
Menschen überall, und die Geräusche ihrer Anwesenheit hallten aus allen Richtungen wider wie bei einer Zeremonie. Die Menschen gingen in Gruppen oder auch allein. Manche gekleidet wie Bettler, andere wie Könige. Tausende von Worten, Tausende von Stimmen drangen an ihr Ohr.
Und dann die Hochhäuser. Sie reckten sich hinauf in den Himmel, höher als jede Moschee, höher als jeder Palast. Sie fragte sich, ob man sie zu Ehren Allahs erbaut hatte, aber wo blieben die Rufe zum Gebet? Menschen eilten scharenweise in die Gebäude, aber sie sah keines, das für Frauen verboten war.
Einige Ladenbesitzer bauten ihre Waren auf dem Gehsteig auf, doch wenn Adrianne stehenbleiben wollte, um sich die Sachen anzuschauen, zog ihre Mutter sie weiter.
Geduldig ging sie mit in die verschiedenen Geschäfte, aber plötzlich interessierten sie Einkäufe nicht mehr. Sie wollte raus auf die Straße, alles Neue in sich aufsaugen. Da gab es so viele Gerüche. Die stinkenden Auspuffgase der Autos, Busse und Lastwagen, die sich laut hupend zu Hunderten durch die Straßen quälten. Der scharfe, rauchige Geruch, der, wie sie erfuhr, von gerösteten Kastanien stammte. Und vor allem der intensive, typische Geruch, den die Menschen verströmten.
New York war eine schmutzige, oft gnadenlose Stadt, doch Adrianne sah weder den Unrat noch die abblätternden Fassaden. Was sie sah, war das Leben, das verschiedenartige, aufregende Leben, von dem sie nicht gewusst hatte, dass es existierte. Und sie wollte mehr davon.
»Turnschuhe.« Angenehm erschöpft sank Celeste im Schuhgeschäft Lord & Taylor auf einen der Stühle und lächelte Adrianne an. Das Gesicht des Mädchens, dachte sie, erzählte tausend Geschichten. Und alle handelten von Wundern. Sie war froh, dass sie den Fahrer weggeschickt und sich entschlossen hatten, zu Fuß zu gehen, obwohl ihre Füße brannten wie Feuer. »Na, wie gefällt dir unsere große, schreckliche Stadt, Addy?«
»Können wir uns noch mehr ansehen?«
»Aber ja.« Liebevoll strich sie Adrianne eine Haarsträhne aus der Stirn. »Wir können uns alles anschauen, was du sehen willst. Und wie geht's dir, Phoebe?«
»Gut.« Phoebe zwang sich zu einem Lächeln und öffnete ihren Mantel. Ihre Nerven waren arg strapaziert. Der ganze Trubel, der Krach, die vielen Menschen nach diesen endlosen Jahren des Schweigens und der Einsamkeit. Und die Ent s cheidungen. Hunderte von Entscheidungen muss ten hier plötzlich von ihr getroffen werden. Sie brauchte einen Drink. Mein Gott, sie könnte einen Mord begehen für einen einzigen Drink. Oder eine Pille.
»Phoebe?«
»Ja. Was?« Mit einem tiefen Atemzug brachte sie sich in die Wirklichkeit zurück und lächelte Celeste entschuldigend an. »Tut mir leid. Ich war in Gedanken.«
»Ich sagte gerade, dass du müde aussiehst. Sollen wir die Einkäufe auf morgen verschieben?«
Phoebe wollte schon dankbar zustimmen, als sie den enttäuschten Blick ihrer Tochter bemerkte. »Nein. Ich muss nur mal kurz ausruhen.« Sie beugte sich zu Adrianne und gab ihr einen Kuss . »Macht es dir Spaß?«
»Es ist noch viel schöner als eine Party.«
Celeste lachte. »Liebes, ganz New York ist eine Party, die größte im ganzen Land.« Dann schlug sie die Beine übereinander und wandte sich mit einem koketten Lächeln an den Verkäufer. »Wir suchen für die junge Dame hier ein Paar Turnschuhe. Dort drüben habe ich ein Paar in Rosa gesehen, die mit den Blumen. Und vielleicht noch ein Paar in Weiß.«
»Gerne.« Er beugte sich hinunter und strahlte Adrianne an. Der Verkäufer roch wie die Minzcreme, die Jiddah manchmal aß, und hatte eine graue Strähne im Haar. »Welche Schuhgröße hat denn das kleine Fräulein?«
Er sprach mit ihr, hatte sie direkt angesprochen. Adrianne starrte ihn an und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Schließlich war er kein Mitglied der Familie. Hilflos sah sie ihre Mutter an, doch Phoebes Augen blickten ins Leere.
»Vielleicht messen Sie besser nach«, schlug Celeste ihm vor und drückte beruhigend Adriannes Hand. Mit einer Mischung aus Belustigung und Sorge beobachtete sie, wie Adriannes Augen sich erschrocken weiteten, als der Verkäufer ihren Fuß in die Hand nahm und ihr den Schuh auszog. »Er mißt deinen Fuß, damit er weiß, welche Größe du brauchst.«
»Ganz recht.« Grinsend stellte er Adriannes Fuß auf die Meßplatte. »Stell dich mal hin, Kleine.«
Adrianne schluckte, tat aber dann, wie ihr geheißen, und schaute angestrengt über seinen Kopf
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