Gefährliches Geheimnis
hatte sie sich, wie er selbst, das Bild einer langweiligen Frau gemacht, mit der Kristian in einer ehrbaren, aber unerträglich einsamen Vernunftehe gefangen war? Eine eisige, beklemmende Furcht überkam Monk, dass Letzteres der Fall war.
Was, wenn sie die Frau entdeckt hatte, deren Schönheit Argo Allardyce gequält hatte und die von der Leinwand herunter die Phantasie des Betrachters anregte?
Was liebte man an einer Frau? Liebte man Achtung und Freundlichkeit, Mut, Lachen und Weisheit und hundert geteilte Gedanken? Aber Verliebtheit galt dem, was das Herz zu sehen glaubte, was die Augen erblickten! Eine Frau mit einem Gesicht wie Elissa Beck konnte alles provoziert haben!
Hester ging früh zum Krankenhaus, um zu sehen, welche Fortschritte Mary Ellsworth machte. Mary war ein wenig übel, und sie war schwach, aber fieberfrei, und sie hatte keine Schwellungen oder Eiterungen an der Wunde. Selbst wenn die Operation erfolgreich verlaufen war, wusste Hester besser noch als Kristian, dass das erst der erste Schritt zur Heilung war. Marys Krankheit war eigentlich in ihrem Kopf – die Ängste und Beklemmungen, die Selbstbeobachtung und die betäubende Langeweile, die ihre Tage lähmten.
Hester unterhielt sich ein wenig mit ihr und versuchte, ihr Mut zu machen, dann ging sie Callandra suchen. Sie schaute in den Wartezimmern nach, wo ihr eine junge Krankenschwester sagte, dass sie sie in der Eingangshalle gesehen hatte, aber als Hester dort hinkam, traf sie nur
Fermin Thorpe, der ein wütendes, wichtigtuerisches Gesicht machte. Er schien das Wort an Hester richten zu wollen, drehte sich jedoch mit einer knappen, gereizten Geste auf den Fersen um und verschwand in die entgegengesetzte Richtung.
Callandra kam von einer Station, ihr graubraunes Haar hatte sich fast völlig aus den Nadeln gelöst.
»Dieser Mann ist ein lästiger Einfaltspinsel«, sagte sie wütend mit hochrotem Gesicht und funkelnden Augen. »Er möchte die tägliche Zuteilung von Porterbier für Kranken- schwestern reduzieren! Ich heiße Trunkenheit genauso wenig gut wie er, aber sie würden viel mehr arbeiten, wenn er ihre Essensrationen ein bisschen vergrößern würde! Das Trinken auf leeren Magen ist das wahre Übel!« Sie zwinkerte. »Apropos Magen, wie geht es Mary Ellsworth?«
Hester lächelte ein wenig freudlos. »Jämmerlich, aber keine Infektion der Wunde.«
»Und kein Herz im Leib!«, fuhr Callandra fort. Während sie sprach, suchten ihre Augen Hesters Blick, forschten darin verzweifelt nach einer Beruhigung, einem inneren Trost, dass dieser Albtraum bald vorbei wäre und sie jeden Moment aufwachen und feststellen würde, dass alles geklärt war, was zwar traurig, aber auch eine Art Erlösung wäre.
Hester hätte ihr nur zu gerne etwas Entsprechendes gesagt, aber sie brachte es nicht über sich, nicht einmal, um ein oder zwei entspannte Tage zu gewinnen. »Nein, kein Herz«, stimmte sie ihr zu.
»Aber wenn es nicht so wehtut, fühlt sie sich vielleicht bald besser.«
»Kein Laudanum mehr?«, fragte Callandra, und Mitleid erweichte ihre Züge.
»Nein. Man wird zu leicht abhängig davon. Und es kann zu Verstopfung führen, und das ist das Letzte, was sie jetzt
brauchen kann mit der Wunde im Bauch. Glauben Sie mir, die Schmerzen sind ihr im Moment sicher lieber!«
Callandra zögerte, als versuchte sie, die doppelte und dreifache Bedeutung der Worte zu verstehen, dann lächelte sie über ihre Dummheit, steckte sich die Haare wieder fest und betrat entschlossen die Krankenhaus- apotheke, während Hester mit einer der Kranken- schwestern rasch eine Tasse Tee trank, um anschließend mit dem Omnibus zurück in die Grafton Street zu fahren.
Am Nachmittag beschäftigte Hester sich mit Hausarbeit, die größtenteils unnötig war. Ihre Haushälterin kam dreimal die Woche und erledigte den größten Teil der Wäsche, bügelte und putzte. Alles Wichtige war bereits erledigt, aber Hester war zu unruhig, um stillzusitzen, also machte sie sich daran, die Küchenschränke auszuwaschen und alles, was darin war, auf den Tisch zu stellen. Sicher war das Modell umgebracht worden, und Kristians Frau war nur eine unglückliche Zeugin? Es war die einzige Antwort, die Sinn ergab.
Abgesehen davon, dass es natürlich überhaupt nicht einleuchtend war.
Sie hatte alle Schränke ausgeräumt und eine Schüssel heißes Wasser auf den Arbeitstisch gestellt und wollte sich gerade ans Auswaschen machen, als es an der Tür klingelte und sie aufmachen musste.
Charles
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