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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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stand auf der Treppe und sah noch verstörter aus als zwei Tage zuvor. Er hatte dunkle Ringe um die Augen und einen Schnitt am Kinn, aber diesmal musste er nicht nach Worten suchen.
    »O Hester. Ich bin so froh, dass du zu Hause bist.« Er kam mit steifen Bewegungen und ohne dass sie ihn hereinbat ins Haus. »Ich habe befürchtet, du wärest im
    Krankenhaus … oder sonst wo. Bist du noch … Nein, ich nehme nicht an. Ich meine … es ist …« Er stand mitten im Raum, atmete ein paar Mal tief durch und fuhr fort: »Als ich Imogen neulich abends gefolgt bin, fuhr sie doch in Richtung des Royal Free Hospital, in die Swinton Street.«
    »Ja, das hast du mir erzählt. Warum?«, fragte sie und betrachtete besorgt sein unglückliches Gesicht. »Weißt du inzwischen, wen sie dort besucht haben könnte?«
    »Nein«, kam seine Antwort, noch bevor sie ihre Frage ganz ausgesprochen hatte, aber wenn überhaupt etwas, dann wuchs die Angst in seinen Augen noch. Er wollte etwas anderes sagen, eine Verneinung, doch dann hielt er inne. »Ich nehme an, du hast gehört, dass es in der Acton Street, direkt hinter dem Krankenhaus, einen Doppelmord gegeben hat?« Er beobachtete sie aufmerksam.
    »Ja, die Frau eines Arztes und ein Modell.«
    »Oh, mein Gott!« Seine Beine gaben nach, und er sank in den Lehnstuhl.
    Einen Augenblick fürchtete sie, er wäre zusammenge- klappt. »Charles!« Sie kniete sich vor ihn, umklammerte seine Hände und war höchst erleichtert, Leben darin zu spüren. Sie wollte schon sagen, dass die Örtlichkeit nichts bedeutete und wahrscheinlich gar nichts mit Imogen zu tun hatte, als es sie wie ein kalter Regenguss überfiel, dass er genau das befürchtete. Er wollte Ausflüchte machen, weigerte sich, das anzuschauen, was direkt hinter seinen Worten lag, was immer es auch war.
    »Charles!«, setzte sie noch einmal an, diesmal drängender. »Was weißt du über den Ort, an den sie ging? Du bist ihr also in die Swinton Street gefolgt, die einen Block von der Acton Street entfernt liegt.«
    Er riss den Kopf hoch. »In der Mordnacht war sie nicht dort!«, sagte er schroff. »Ich weiß das, weil ich ihr an dem
    Abend gefolgt bin.«
    »Wo war sie dann?«, fragte sie.
    »Südlich von High Holborn«, erwiderte er sofort. »Die Drury Lane runter, direkt hinter dem Theater, nicht in der Nähe der Gray’s Inn Road.« Er blickte sie fast heraus- fordernd an.
    Warum hatte er es so eilig, zu leugnen, dass Imogen nicht dort gewesen war?
    Hester stand auf und entfernte sich ein paar Schritte, sie wandte ihm den Rücken zu, er sollte die Besorgnis in ihrem Gesicht nicht sehen. »Ich habe gehört, sie wurden im Atelier eines Künstlers umgebracht«, sagte sie fast gelassen. »Das Modell hat für ihn gearbeitet und viel Zeit dort verbracht, und die Frau des Arztes ging zu einer Sitzung, weil er ein Porträt von ihr malte.«
    »Dann war’s der Künstler!«, sagte er schnell. »Das hat nicht in der Zeitung gestanden!«
    »Wie es scheint, war er nicht da. Ein Missverständnis, nehme ich an.«
    Er schwieg.
    »Du musst dir also keine Sorgen machen«, fuhr sie fort, als interessierte sie die Sache nicht weiter. »Wer am Abend durch die Straßen geht, ist in der Swinton Street nicht mehr in Gefahr als anderswo.«
    Sie hörte, dass er durchatmete. Er war verängstigt, verwirrt und fühlte sich jetzt noch mehr allein. Würde ihn das schließlich überzeugen, offener zu sein?
    Aber das Schweigen hielt an.
    Ihre Geduld ging zu Ende, und sie wirbelte herum, um ihn anzusehen. »Wovor hast du solche Angst, Charles? Glaubst du, Imogen kennt jemanden, der in die Sache verwickelt ist? Argo Allardyce, zum Beispiel?«
    »Nein! Warum, um alles in der Welt, sollte sie ihn kennen?«
    Aber Röte stieg ihm ins Gesicht, und er schien die Hitze zu spüren. »Ich weiß nicht!«, platzte er heraus. »Ich weiß nicht, was sie macht, Hester! Einen Tag ist sie in Hochstimmung, am nächsten verzweifelt. Sie zieht ihre besten Sachen an und geht aus, ohne mir zu sagen, wohin. Sie lügt, wenn sie erzählt, wo sie gewesen ist und wen sie besucht hat. Sie bekommt Nachrichten ohne Unterschrift, sie solle jemanden treffen, und die Handschrift verrät ihr, wen sie treffen wird und wohin sie gehen muss!« Er griff in seine Tasche, zog ein Stück Papier hervor und hielt es ihr hin. Sie nahm es. Es war nur eine Verabredung, ohne Ortsangabe und ohne Unterschrift. Charles schlug die Hände vors Gesicht, was weiße Flecken auf seinen Wangen hinterließ, und zuckte zusammen,

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