Gefährliches Geheimnis
kennen«, fuhr Pendreigh fort, als er sich gefasst hatte. »Er war auch ein Revolutionär. Elissa hat mir erzählt, wie tapfer er war. Sie hat Mut immer sehr bewundert …« Ein merkwürdig schmerzlicher Ausdruck erfüllte seine Augen und ließ ihn die Lippen zusammenziehen, als würde eine bittere Erinnerung vorübergehend alles andere verdrängen.
Dann bewegte er leicht die Hand. »Aber sie war nicht töricht, sie war sich der Gefahr bewusst, die es bedeutete, sich gegen die Tyrannei auszusprechen oder sich mit Menschen anzufreunden, die dies taten. Sie marschierte mit den Studenten und den gewöhnlichen Menschen auf der Straße gegen die Soldaten des Kaisers. Sie sah, wie Menschen umgebracht wurden, junge Männer und Frauen, die nur die Freiheit wollten, ihre Überzeugungen laut auszusprechen. Sie wusste, dass es sie jederzeit erwischen konnte. Kugeln treffen keine moralische Wahl.«
»Klingt, als sei sie eine außerordentliche Frau gewesen«, sagte Runcorn unglücklich.
Pendreigh wandte sich ihm zu. »Sie müssen annehmen, dass ich voreingenommen bin in meinem Urteil. Natürlich bin ich das – sie war meine Tochter. Aber fragen Sie jemanden, der dabei war – insbesondere Kristian. Er wird Ihnen das Gleiche sagen. Ich bin mir natürlich auch ihrer Fehler bewusst. Sie war ungeduldig, Dummheit oder Unentschlossenheit ertrug sie nicht. Den Meinungen anderer hat sie zu oft nicht zugehört, und sie war voreilig
in ihren Schlüssen, aber wenn sie sich irrte, hat sie sich stets entschuldigt.«
Seine Stimme wurde weich, und er blinzelte schnell.
»Sie war ein Geschöpf mit großem Idealismus, Superintendent, mit der Phantasie, sich in die Lage der weniger Glücklichen zu versetzen, um zu sehen, wie ihr Los verbessert werden konnte.«
»Kein Wunder, dass Dr. Beck sich in sie verliebte«, sagte Runcorn.
Monk fürchtete, er würde Kristian der Eifersucht verdächtigen; er selbst konnte sich des Gedankens nicht erwehren.
»Er war bei weitem nicht der Einzige«, seufzte Pendreigh. »Es war nicht immer leicht, so bewundert zu werden. Es gibt einem … zu viel, um den Erwartungen zu entsprechen.«
»Aber sie entschied sich für Dr. Beck und nicht für einen der anderen.« Monk formulierte es als Behauptung. Er sah Runcorns warnenden Blick und ignorierte ihn. »Wissen Sie, warum?«
Pendreigh dachte eine Weile nach, bevor er antwortete.
»Ich versuche, mich daran zu erinnern, was sie damals schrieb.« Er zog seine blonden Augenbrauen in einem konzentrierten Stirnrunzeln zusammen. »Ich glaube, er hatte die gleiche Entschlossenheit wie sie, die Nerven, das, was er sich vornahm, auch zu machen, selbst wenn die Umstände sich veränderten und der Preis stieg.« Er schaute Monk aufmerksam an. »Er ist sehr kompliziert, ein Jünger der Medizin und ihrer Herausforderungen, und gleichzeitig ein Mann von großem physischem Mut. Ja, ich glaube, das war es – die reinen Nerven angesichts der Gefahr. Das gefiel ihr. Sie hatte ein gewisses Mitleid für Menschen, die schwankten, und vollstes Verständnis für Angst.«
Monk warf Runcorn einen raschen Blick zu und sah die Verwirrung in dessen Miene. Das alles schien sehr weit weg zu sein von einem Atelier in der Acton Street und der schönen Frau, die sie im Leichenschauhaus gesehen hatten. Doch zu der Frau auf dem Gemälde »Beerdigung in Blau« schien es sehr gut zu passen.
Pendreigh zitterte, aber er richtete sich ein wenig auf und hielt den Kopf hoch. »Ich erinnere mich an ein Ereignis, von dem sie mir schrieb. Es war im Mai, und es lag immer noch Gefahr in der Luft. Monatelang hatte es in den Geschäften kaum etwas zu kaufen gegeben. Der Kaiser hatte Wien verlassen. Die Polizei hatte alle stellungslosen Dienstboten aus der Stadt verbannt, aber die meisten wa- ren auf dem einen oder anderen Weg zurückgekommen.«
Zorn verlieh seiner Stimme einen scharfen Unterton. »Es kam zu Tumulten, weil die Geheimpolizei abgeschafft und ihre Aufgaben von der Nationalgarde und der Akademischen Legion übernommen worden waren. Es gab eine Welle von Verbrechen, und jeder, der auch nur einigermaßen ordentlich gekleidet war, lief Gefahr, auf der Straße angegriffen zu werden. Damals wurde Elissa zum ersten Mal auf Kristian aufmerksam. Nur mit einer Pistole bewaffnet, stellte er sich – völlig allein – dem Mob entgegen und sorgte dafür, dass er sich zurückzog. Sie sagte, er sei großartig gewesen. Er hätte sich genauso gut auf die andere Seite schlagen und so tun können, als bemerke
Weitere Kostenlose Bücher