Gefährliches Geheimnis
er nichts, und niemand hätte deswegen unbedingt etwas Schlimmes über ihn gedacht.«
»Sie sagten, er sei kompliziert«, fragte Monk nach. »In meinen Ohren klingt das nach einem ziemlich simplen Heroismus.«
Pendreigh blickte in die Ferne. »Ich wusste nur, was sie mir erzählte. Aber selbst die idealistischsten Schlachten sind selten so, wie diejenigen, die nicht darin verwickelt sind, sie sich vorstellen. Es gibt auch auf der feindlichen
Seite gute Menschen, und gelegentlich schwache und böse
Menschen auf der eigenen.«
Runcorn verlagerte sein Gewicht unbehaglich auf das andere Bein, aber er unterbrach Pendreigh nicht und hielt den Blick unverwandt auf ihn gerichtet.
»Und Kämpfe fordern Opfer«, fuhr Pendreigh fort,
»nicht immer von einem selbst, manchmal auch von anderen. Sie hat mir erzählt, was für ein guter Führer Kristian war, entschieden, weitsichtig. Wo einige Männer ahnten, was ein oder zwei Züge im Voraus geschehen würde, sah er ein Dutzend Züge voraus. Er hatte eine Stärke in sich, die ihn von den anderen unterschied, die weniger fähig waren, eine Sache im Auge zu behalten und sowohl die Kosten des Sieges als auch die einer Niederlage zu bedenken.« Seine Stimme war klar vor Bewunderung, und er hatte sogar die Schultern gestrafft, als hätte der Gedanke ihm innerlich Mut gemacht.
Auch Monk bewunderte das, aber er war verwirrt. Pendreigh zeichnete das Bild eines Mannes, der dem mit- leidsvollen und ängstlichen Menschen, den er im Fieber- krankenhaus in Limehouse gesehen hatte, und allem, was er von Callandra erfahren hatte, überhaupt nicht ähnlich war. Der Führer, der solch eine innere Sicherheit und Stärke besaß, war von ganz anderer Natur als der Arzt, der bei der Arbeit keine moralischen Urteile fällte, sein Leben ebenso für den fiebernden und verlausten Bettler aufs Spiel setzte wie für eine Krankenschwester wie Enid Ravensbrook. Wie sah Hester ihn? Als einen Mann voller Mitleid, Idealismus, Hingabe, vielleicht moralischem Mut, aber nicht als einen Mann mit mitleidlosen Führungsqualitäten, wie Pendreigh ihn beschrieb. Der Kristian Beck, den Hester sah, hätte nicht die Hand gegen jemanden erhoben, erst recht nicht mit einem Schwert oder einer Pistole darin!
Er sah Runcorn an. Dessen Stirn war nur leicht
gerunzelt. Aber schließlich kannte er Kristian auch nicht gut; er war ihm bis dato erst ein Mal begegnet. Dieses Bild von Kristian, das Pendreigh von Elissa erzählt bekommen und für sie wiedererschaffen hatte, kollidierte nur wenig mit einem Bild in seinem Kopf.
Konnte Kristian sich in dreizehn Jahren so verändert haben? Oder war er ein Mann mit zwei Gesichtern, der stets das Gesicht zeigte, das seinen Zielen oder den Notwendigkeiten der Zeit entsprach?
Runcorn starrte Monk ungeduldig an und wartete, dass dieser etwas sagte.
Monk richtete den Blick direkt auf Pendreigh. »Es tut mir von Herzen Leid wegen Ihres Verlustes, Sir. Mrs. Beck war offensichtlich ein Mensch von außergewöhnlichem Mut und Ehrgefühl.«
»Vielen Dank«, meinte Pendreigh, wandte sich ihnen schließlich wieder zu und sah sie an. »Ich habe das Gefühl, die Welt verdunkelt sich und es gibt keinen Sommer mehr. Sie hatte so viel Fröhlichkeit, so viel Lebenshunger. Ich habe keine Familie mehr. Meine Frau ist seit vielen Jahren tot, und meine Schwester auch.«
Er sagte es ohne besonders viel Ausdruck, was die Wirkung seiner Worte noch verstärkte. Es war kein Selbstmitleid, sondern eine freudlose Feststellung der Tatsachen. Er war weder mutig noch verzweifelt, sondern sprach in einer Art Erstarrung.
Die kalte Wut überkam Monk, wenn er daran dachte, dass eine einzige gewalttätige Handlung in einem kurzen Augenblick Pendreigh so viel geraubt hatte.
Er blickte Runcorn an, weil er erwartete, dass dieser sich verabschieden wollte, und erkannte verblüfft das Durch- einander von Gefühlen in dessen Miene – Verlegenheit und Bestürzung und ein deutliches Wissen um die eigene
Ratlosigkeit. Monk wandte sich wieder Pendreigh zu. »Ich nehme an, wenn Sie eine Idee hätten, wer für die Tat verantwortlich ist, hätten Sie uns das gesagt?«, fragte er.
»Was? Oh, ja, natürlich. Ich kann mir nur vorstellen, dass die andere arme Frau Streit hatte, mit einem Liebhaber oder so, und dass Elissa das Pech hatte, Zeugin zu werden.«
»Sie haben das Porträt in Auftrag gegeben?«, fuhr Monk fort.
»Ja. Allardyce ist ein sehr guter Künstler.«
»Was wissen Sie über ihn persönlich?«
»Nichts. Aber
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