Gefaehrten der Finsternis
einem prächtigen Himmelbett geschlafen hatte, von dessen Baldachin helle, mit einer eleganten blau-silbernen Blumenstickerei gesäumte Vorhänge herabhingen. Der Bettrahmen bestand aus vergoldetem Holz, die weißen Laken dufteten frisch
und sein Kopf hatte auf mindestens fünf weichen Kissen geruht. Rechts von ihm standen ein glänzend polierter Frisiertisch und eine kleine Kommode, auf der eine ganze Batterie von Toilettenartikeln aufgereiht war. Links vom Bett sah Tyke ein etwas größeres Nachttischchen, auf dem sich neben einer Öllampe ein Silbertablett mit kleinen Fladen und frisch gebackenem Brot befand - außerdem ein Krug Milch, Butter und ein Stück Kuchen, ja sogar ein Gläschen mit einem golden schimmernden Getränk.
Tykes Verwunderung wuchs noch, als er entdeckte, dass er vollkommen nackt und auch sauber war. Und nicht nur das: Seine unbekannten Retter hatte ihm sogar die Haare gewaschen, sie gekämmt und Glasperlen und stark duftende violette Blüten hineingeflochten. Vorsichtig tastete er nach den Wunden an seinem Gesäß und fühlte, dass sie nicht nur mit weichen Leinenbinden verbunden waren, sondern auch nicht mehr schmerzten. Trotzdem war er beunruhigt. Wer hatte ihn hierher gebracht? Wer hatte ihn gewaschen, seine Wunden versorgt und ihm sogar etwas zu essen bereitgestellt? Warum hatte man das getan? Und vor allem: Wohin hatten sie ihn gebracht?
Er wäre zu gerne aufgestanden, um sich an den großen Fenstern einen Überblick zu verschaffen, wo er sich befand, aber der Gedanke an seine Nacktheit hielt ihn zurück. Seine Kleider waren verschwunden, und es gab auch nichts anderes, was er sich hätte überstreifen könne. Die Vorstellung, dass der Herr des Hauses, wer immer das sein mochte, hereinkommen könnte und ihn dann nackt am Fenster stehen sah, behagte ihm überhaupt nicht. Daher lehnte er sich nach links zum Nachttischchen, nahm das Tablett mit dem Frühstück und setzte es vorsichtig auf seinen Knien ab. Er wusste zwar nicht, ob die Speisen vielleicht vergiftet waren, aber er hatte seit vier Tagen nichts mehr gegessen, und angesichts dieser Köstlichkeiten war er bereit, es darauf ankommen zu lassen. Wer auch immer ihn aufgelesen hatte, hätte sich wohl nicht so viel Mühe gemacht, ihn zu säubern und seine Wunden
zu versorgen, wenn er ihn vergiften wollte.Tyke brach einen Fladen durch und probierte ein Stückchen davon - es war köstlich. Dann vergaß er seine Angst und griff herzhaft zu.
Er hatte schon den Kuchen und die kleinen Fladenbrote verspeist und wollte sich gerade das sechste Butterbrot in den Mund schieben, als sich plötzlich in der rechten Wand eine Tür öffnete und ein Mann das Zimmer betrat. Überrascht und verlegen erstarrte Tyke mit offenem Mund, hielt seine Butterschnitte auf halber Höhe in der Hand.
Der Mann kam näher, zog sich einen Hocker heran und ließ sich am Fußende des Bettes nieder. Er musterte Tyke mit unverhohlenem Interesse, dabei stand ein breites Lächeln in seinem Gesicht. Dann sagte er: »Ich freue mich, dass du wach bist und dass dir gut geht, junger Freund.«
Tyke war zu verwirrt, um etwas darauf erwidern zu können, aber zumindest legte er das Brot auf das Tablett zurück und schloss auch den Mund, da er sich wie ein Trottel vorkam. Nun lächelte der Mann noch breiter und er machte eine einladende Handbewegung. »Nur zu«, sagte er. »Iss doch bitte weiter, wenn du noch hungrig bist. Das stört mich nicht.«
Etwas erleichtert wandte sich Tyke wieder dem Essen zu. Erst, als er alles aufgegessen hatte und auch den letzten Tropfen des süßen, stärkenden Likörs ausgetrunken hatte, schaute er wieder zu dem Mann hinüber.
Der Unbekannte hatte schweigend abgewartet, bis Tyke sein Mahl beendet hatte, und sah ihn nun wohlwollend aus wunderbar graublauen Augen an. Er war groß und gut aussehend, und obwohl er auf den ersten Blick nicht älter als dreißig zu sein schien, sah man ihm an, dass er älter, sogar sehr viel älter sein musste und dass seine schönen Augen schon viele ereignisreiche Zeiten gesehen hatten. Seine rotgoldenen Haare reichten ihm bis zum Gürtel und waren kunstvoll in Zöpfchen geflochten, die mit kleinen dunklen Perlen verziert wurden. Sein Gesicht war offen
und freundlich, doch seine Erscheinung hatte auch etwas Feierliches und Respekteinflößendes, das Tyke nicht näher beschreiben konnte. Der Unbekannte trug ein langes weißes Gewand, das mit seinen weiten Ärmeln und dem schulterfreien Ausschnitt schlicht und elegant
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