Gefahrliches Vermachtnis
runter. Und da kannst du nicht mitkommen.“
„Habt ihr Mädchen da unten?“ Ferris zog eine Grimasse.
Vallachte. „ Mais oui! Natürlich sind da Mädchen. Hunderte! Und jetzt geh besser ins Bett, bevor wir sie hochbringen und ihnen sagen, sie sollen dich küssen.“
„Ihr lügt! Ihr geht woanders hin, wo es lustig ist. Ich weiß, dass ihr lügt. Und ich komme mit.“
„Wir machen nur einen Strandspaziergang“, erklärte Hugh. Das war immerhin nicht wirklich gelogen. Vals Boot lag unten am Strand und sie mussten erst dahin marschieren.
„Dann geh ich mit.“
„Nein!“
„Ich sag’s Daddy!“
Hugh wusste, dass das kein leeres Versprechen war. Henry ermunterte Ferris, andere auszuspionieren, und Ferris bekam nie Ärger. Henry war selten sauer auf ihn.
„Lass ihn mitkommen“, sagte Val. „Vielleicht wird er dann lernen, dass er uns nicht noch einmal folgen sollte. Vielleicht können wir ihn draußen auf dem Wasser einfach den Haien zum Fraß vorwerfen.“
„Auf dem Wasser?“ Ferris’ Augen glänzten im Mondlicht.„Wir segeln mit deiner Jolle?“
„Wir haben keinen Wind. Du kannst uns den ganzen Weg rudern.“
„Ich bin stark! Ich kann bis nach Grand Terre rudern, wenn es sein muss.“
„ Eh bien. Schon möglich.“ Val machte einen Schritt auf Ferris zu und verwuschelte ihm die Haare. Es gab keinen Grund, Ferris zu mögen. Der Junge war schlimmer als die Pest. Aber Val mochte jeden.
Sie gingen hintereinander auf dem Pfad, der zum Wasser führte. Ferris bemühte sich, sich so ruhig und schnell wie sie zu bewegen. Vals alte Jolle lag am Ufer. Sie bot kaum Platz für drei.
Die älteren Jungen krempelten sich die Hosenbeine hoch und schoben die Jolle mit Ferris ins tiefere Wasser. Dann kletterten sie an Bord und Val setzte die Segel. Die leichte Brise reichte gerade aus, um sie sanft um das Cap der Insel zu bringen. Hugh konnte die Lichter der Häuser am Ufer sehen. Er erschlug ein paar Moskitos, bis das Boot weit genug vom Land entfernt war.
„Was würde deine Mutter sagen, wenn sie wüsste, dass du hier draußen bist?“, fragte Hugh.
„Sie hat keine Ahnung. Nachts schläft sie wie eine Tote. Sie ist immer sehr müde.“
Hugh verspürte ein vages Gefühl von Schuld. Solange er denken konnte, hatte Vals Mutter Ti’Boo sich um das Haus und die Familie Gerritsen gekümmert. Hughs und Vals Mütter kannten sich schon seit ihrer Kindheit, seit einem Sommer auf Grand Isle, in dem die zwölfjährige Ti’Boo und Aurore Freundinnen geworden waren. Die beiden hatten zusammen einen Jahrhundertsturm abgewartet – in genau dem Haus, das nun das Sommerhaus der Gerritsens war. Die beiden Frauen waren trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft in all den Jahren Freundinnen geblieben.
Hugh wusste, dass Vals Vater vor einigen Jahren während einer Grippeepidemie gestorben war. Aurore hatte Ti’Boo nacheiner angemessenen Trauerzeit angeboten, bei ihr zu arbeiten. Ti’Boo arbeitete hart, viel härter, als nötig gewesen wäre. Nicht einmal Hughs Vater fand etwas an Ti’Boos Arbeitsweise auszusetzen.
Val und seine Geschwister verbrachten einen Teil des Jahres in Bayou Lafourche bei Ti’Boos Schwester Minette und ihrer großen Familie. Aurore hatte gewollt, dass sie in New Orleans aufwuchsen, doch Ti’Boo bestand darauf, dass ihre Kinder mit denselben strengen religiösen Werten und französischsprachig erzogen wurden wie sie selbst. Sie besuchte ihre Kinder regelmäßig und überschüttete sie mit Liebe, wenn sie nach Grand Isle kamen.
Sicher hatte Aurore das Haus auf Grand Isle auch deshalb gekauft, damit Ti’Boo und ihre Kinder im Sommer zusammen sein konnten. Sie wohnten in einem Cottage in der Nähe des Hauses, und das Leben war viel spannender, wenn sie alle ihre Ferien dort verbrachten. In diesem Sommer war aber nur Val gekommen. Seine Brüder und seine Schwester Pelichere waren inzwischen verheiratet.
Val drehte sich eine Zigarette und zündete sie an. Der Rauch vermischte sich angenehm mit der salzigen Brise. Hugh hätte auch gerne geraucht. Doch immer, wenn er zu inhalieren versuchte, musste er husten.
„Wir sind gleich da“, verkündete Val. „Wir müssen leise sein. Hast du was Wichtiges zu sagen, Ferris? Na, macht nichts. So wichtig kann es gar nicht sein.“
Hugh wusste, dass mehr als nur ein paar Worte dazu nötig waren, seinen Bruder ruhigzustellen. Mit seinen neun Jahren schien er mit Hugh nur wenig gemeinsam zu haben. Ferris hatte niemals Angst, war niemals unsicher. Er
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