Geheime Macht
die hinter der Durchsetzung menschlicher Gesetze stehen. Und wir alle wissen, wie wichtig dieser Punkt ist, nicht wahr?«
»Ja, Ma’am.« Wieder im Chor.
»Versteht ihr jetzt, warum sie eine Bereicherung des Clans wäre?«
»Ja, Ma’am.«
Ich war eine Bereicherung. Das war eine Neuigkeit für mich.
»Es ist mir egal, ob sie ein Tierabkömmling, ein Elefant oder ein Schnabeltier ist. Wir brauchen sie. Sie ist wie eine Pinie. Sie lässt sich nicht beugen, sie würde nur brechen. Ich habe Monate damit zugebracht, sie davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse wäre, sich uns anzuschließen. Und jetzt habt ihr beiden entschieden, mir in die Suppe zu spucken.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte Carrie.
»Mir auch«, schloss sich Deb an.
»Verschwindet jetzt und versucht, mir ein oder zwei Tage lang aus dem Weg zu gehen, ja?«
»Ja, Ma’am.«
Die Tür fiel ins Schloss. Es folgte ein grausames Kreischen, als würde Metall gequält.
»Das war eine sehr hübsche Bücherstütze«, sagte Martinas Stimme.
»Und jetzt ist es nur noch ein Stück Schrott«, sagte Tante B.
Ich sah Martina an. »War es eine Eule?« Das Bücherstützenpaar war wirklich hübsch, aus Metall und mit heller Bronze veredelt, mit großen bernsteinfarbenen Swarovski-Kristallen als Augen. Tante B benutzte sie, um die Akten auf ihrem Schreibtisch zu stützen.
Martina hielt die Aufzeichnung an und nickte. »Sie hat eine in der Hand zerdrückt. Stell dir vor, du würdest einen Marmeladendonut in der Faust zusammenquetschen und die Füllung quillt heraus. So hat es ausgesehen.« Sie drückte wieder auf die Taste.
»Hat Ascanio gesagt, worüber Andrea und Raphael gesprochen haben?«, fragte Tante B.
»Nein. Aber er hat Rebecca in ihr Büro mitgenommen.«
Der Rekorder verstummte.
Dann seufzte Tante B. »Warum arbeiten wir so hart und aufopferungsvoll, um unsere Kinder davor zu bewahren, unsere Fehler zu wiederholen, wenn sie schließlich darauf bestehen, alles in den Wind zu schlagen, was wir ihnen raten?«
»Wahrscheinlich weil sie unsere Kinder sind und wir in ihrem Alter genauso den Rat unserer Eltern ignoriert haben.«
Tante B seufzte erneut. »Wirst du mit ihr reden?«
»Ja.«
»Wirst du mir sagen, wie es abgelaufen ist?«
»Du weißt, dass alles, was sie zu mir sagt, vertraulich ist«, sagte Martina.
»Ich weiß. Sag mir nur, ob noch etwas zu retten ist. Wir brauchen sie.«
Martina schaltete das Diktiergerät aus und stellte es zwischen uns.
»Das ändert überhaupt nichts«, erklärte ich ihr.
Martina sah mich an. »Was wäre die Alternative, Andrea? Wie stellst du dir die weitere Entwicklung vor? Du hast ihr in der Öffentlichkeit eine Ohrfeige verpasst.«
»Sie hat mich die Treppe hinuntergestoßen.«
»Das war ein liebvoller Stupser im Vergleich zu dem, was sie hätte tun können. Du hast sie herausgefordert. So etwas kann sie nicht ignorieren. An ihrer Stelle würdest du genauso handeln.«
Nein. Ich hätte mich sofort auf mich gestürzt. Ganz schnell.
»Du könntest gehen«, sagte Martina.
»Ich werde nicht gehen. Dies ist jetzt mein Zuhause. Warum sollte ich gehen?«
»Dann bleibt dir nur die Wahl, dich dem Rudel anzuschließen. Du kannst nicht unabhängig leben, Andrea. So will es unser Gesetz, und auch du bist daran gebunden, weil du eine Gestaltwandlerin bist. Du bist eine von uns.«
Ich biss die Zähne zusammen. »Ich könnte gegen sie kämpfen.«
»Du würdest verlieren«, sagte Martina. »Aber selbst wenn du gewinnst, was dann? Ich würde dir nicht folgen, Andrea. Du hast nicht an meiner Seite gekämpft, du hast mir nicht bewiesen, dass du die Führung verdient hast. Ich kenne dich nicht, und ich vertraue dir nicht. Wenn es dir gelingen würde, Tante B zu töten, würden wir alle uns gegen dich verbünden. Ich weiß nicht, auf welcher Seite Raphael stehen würde, aber er müsste sich zwischen der Frau, die er liebt, und seiner Familie entscheiden. Eine beschissene Situation für ihn.«
»Das Verhältnis zwischen Raphael und mir ist sowieso recht kompliziert.«
»Das glaube ich dir gern. Schließlich sind wir Boudas.« Martina zuckte mit den Schultern. »Wenn eine Frau ihren Geliebten mit einer anderen Frau in einem Restaurant sieht, könnte sie zu ihm hinübergehen und ihn zur Rede stellen. Sie könnte auch abwarten und es später tun. Aber wenn eine Bouda ihren Partner mit einer anderen Frau sieht, würde sie ihr einen Drink ins Gesicht schütten und dann vielleicht einen Tisch nach ihr werfen,
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