Geliebte Nanny
Danny heißen, zum bevorzugten Mobbingopfer auserkoren zu werden.
David scheint die Gesundheit seines kleinen Neffen sehr am Herzen zu liegen. Denn trotz seines selbstbewussten Auftretens, wirkt er besorgt und hilflos, als er den kranken Gerald betrachtet. Er nimmt ihn mir ab.
»Setzen Sie sich ruhig, Melek. Ich mach das hier.«
Während ich mit schweren, schmerzenden Armen zur Warteecke schlurfe (mit seinen vierzehn Monaten, ist Gerald alles andere als ein Fliegengewicht), schaue ich noch einmal über die Schulter zu David rüber. Er streichelt Gerald über den Hinterkopf. Was für ein herzerweichender Anblick. Ich setze mich und warte.
Lola, die ziemlich eingeschüchtert drein schaut, telefoniert indessen mit dem Arzt, der schon wenige Sekunden später, aus einem der Behandlungsräume stürmt. Nicht gerade Patrick Dempsey, diagnostiziere ich. Aus der Traum von McSexy und McDreamy , wohl eher Karl Dall in Birkenstock und weißem Kittel. Aber egal, Hauptsache vom Fach. Der Doktor streckt David zur Begrüßung die bullige Hand entgegen. »Dr. Smolka, freut mich.«
David, der keine Hand frei hat, weil er Gerald mit beiden Händen wiegt, schenkt dem Arzt ein knappes Nicken. Ich gehe mit einem erleichterten Lächeln auf die beiden Männer zu. Dr. Smolka guckt mich blöd an und meint: »Tut mir leid. Sie sind noch nicht dran. Ich habe hier gerade einen dringenden Notfall. Setzen Sie sich doch bitte wieder in die Warteecke. Er wendet sich an David: »Kommen Sie, Herr von Degenhausen.«
Im selben Augenblick flammt Davids Ärger von Neuem auf.
»Die Dame gehört zu mir«, informiert er den Arzt mit resoluter Stimme. Er streckt einen Arm nach mir aus, wobei ich mir nicht so recht vorstellen kann, was ich damit anfangen soll.
Ich hake mich unsicher ein – das scheint mir das Logischste zu sein, aber bei David weiß man ja nie genau, woran man ist. Mal sehen, was passiert. Oje, hoffentlich war dieses »Arm ausstrecken« nicht nur eine harmlose Geste, mit der David mir signalisieren wollte, ihm zu folgen wie es einer Angestellten gebührt. Ich sehe schon vor mir, wie David mich mit empörter Miene schnurstracks wieder aus seinem Arm herausbefördert.
Doch Sekunden später hakt mein Arm immer noch in seinem.
Der unansehnliche Doktor betrachtet mich entgeistert. Ich fühle mich, wie eine klapprige Bergziege, die versehentlich auf einer Auktion für prämierte norddeutsche Milchkühe gelandet ist und Dr. Smolka verkörpert den skeptischen Auktionator. Sein Blick spricht Bände. Ich glaube, er hält mich für Davids Frau – was für ein wahnwitziger Gedanke.
Na und wenn schon, immer noch kein Grund, mich deswegen so dämlich anzuglotzen. David kann schließlich heiraten und Kinder haben, mit wem er will (außer mit der blöden Giulia!!).
Lola , hinter ihrem Tresen, späht uns ungläubig hinterher, als wir Dr. Smolka in den Behandlungsraum folgen.
Er untersucht Gerald, der die ganze Zeit weint. Wie vermutet, stellt sich heraus, dass es sich um eine akute Lungenentzündung handelt. Dr. Smolka verabreicht ihm Antibiotika und hängt eine Infusion an.
»Wir müssen ihn in der Klinik behalten und die Antibiotikatherapie fortsetzen, außerdem werden wir antipyretische Maßnahmen ergreifen und ihm Sauerstoff geben. Zusätzlich haben wir spezielle Betten, in denen unsere kleinen Pneumoniepatienten optimal gelagert werden können«, klärt der Doc uns sachkundig auf, während ich Gerald wieder anziehe. Der Kleine klammert sich an mich, so als würde er ahnen, dass er hierbleiben muss; auch wenn Gerald bei Dr. Smolkas Fachchinesisch ganz sicher genauso wenig durchblickt wie ich.
Kurze Zeit später kommt eine Krankenschwester ins Zimmer. Es tut weh mit ansehen zu müssen, wie sie Gerald in ein fahrbares Kinderbettchen steckt und mit ihm davon eilt. Er ist doch noch fast ein Baby.
Seine herzergreifenden Schreie, die noch immer im Flur zu hören sind, als sie längst um die Ecke gebogen sind, treiben mir die Tränen in die Augen.
»Sind Sie seine Mutter?«, will Dr. Smolka wissen. »In Ausnahmefällen darf ein Elternteil über Nacht bei dem Kind bleiben, vor allem wenn es sich um Kleinkinder handelt wie Ihres.«
Am liebsten würde ich behaupten, ich sei Geralds Mutter. Gleichzeitig tut sich mir innerlich ein Gedanke auf, der mich zornig stimmt: ›Wo bitteschön ist seine Mutter in diesem dramatischen Moment?‹
»Nein, sie ist das Kindermädchen meines Neffen«, antwortet David dem Doktor, bevor ich es tun kann,
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