George, Elizabeth
nicht
außer Acht lassen, dass Yolanda vielleicht jemanden schützt, der ihr die Tasche
gegeben und sie gebeten hat, sie verschwinden zu lassen. Wir müssen uns mit ihr
unterhalten.«
»Herr im verdammten Himmel...«
Und dann sah sie seinen Gesichtsausdruck. Sie spürte, dass er sie taxierte, und
sie wusste, was er taxierte. Wut stieg in ihr auf, als ihr dämmerte, dass jeder
Mann sich das Recht nahm, sie in einer Situation zu kritisieren, in der er
einen anderen Mann nie im Leben kritisieren würde.
»Ich möchte mir den Inhalt
dieser Handtasche genau ansehen, bevor wir sie ins Labor geben. Und sagen Sie
mir jetzt nicht, dass das regelwidrig ist, Thomas. Wir haben keine Zeit zu
warten, bis die uns erklären, dass kein einziger Fingerabdruck zu gebrauchen
ist. Wir brauchen ein Ergebnis.«
»Sie sind...«
»Wir ziehen uns Handschuhe an,
okay? Und wir beide werden die Handtasche keine Sekunde lang aus den Augen
lassen. Stellt Sie das zufrieden, oder brauchen Sie noch mehr Garantien?«
»Ich wollte sagen, Sie sind
die Chefin. Sie erteilen hier die Anweisungen«, erwiderte er. »Ich wollte
sagen, es ist Ihr Fall.«
Das bezweifelte sie. Der Mann
war aalglatt. »Ganz recht. Vergessen Sie das nicht«, sagte sie, als sie aus
dem Aufzug stiegen.
Der wichtigste Gegenstand, der
sich in der Handtasche befand, war Jemima Hastings' Handy, das Isabelle an
John Stewart übergab mit der Anweisung, die Mailbox abzuhören, die Anrufer zu
identifizieren, sämtliche SMS zu lesen und abzuschrei ben und die Kundendaten der
Telefongesellschaft zu beschaffen. »Auch die Handystationen müssen
miteinbezogen werden«, fügte sie hinzu. »Die Ping-Signale oder wie die heißen.«
Den Rest des Tascheninhalts
ging sie mit Lynley gemeinsam durch, im Großen und Ganzen vollkommen
alltägliche Dinge: ein kleiner London-Stadtplan, ein Taschenbuch, das darauf
schließen ließ, dass Jemima eine Vorliebe für historische Romane gehabt
hatte, ein Portemonnaie mit fünfunddreißig Pfund und zwei Kreditkarten, zwei
Kugelschreiber, ein Bleistift mit abgebrochener Spitze, eine Sonnenbrille in
einem Etui, eine Haarbürste, ein Kamm, vier Lippenstifte und ein Taschenspiegel.
Außerdem fanden sie eine Produktliste des Zigarrenladens und einen
Werbeprospekt vom Queen's Ice and Bowl - »Gute Küche! Geburtstagspartys! Betriebsfeiern!« -,
ein Angebot für eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio in Putney und
Visitenkarten von Yolanda der Hellseherin, dem London Skate Centre, dem Schlittschuhlehrer Abbott
Langer sowie von Sheldon Pockworth Numismatics.
Isabelle betrachtete die
letzte Visitenkarte und versuchte sich zu erinnern, was Numismatik bedeutete.
Briefmarken, murmelte sie. Münzen, korrigierte Lynley.
Sie bat ihn, das Unternehmen
zu überprüfen. »Und Yolanda auch?«, fragte er. »Ich glaube immer noch...«
»Also gut. Yolanda auch. Aber
ich schwöre Ihnen, dass sie nichts damit zu tun hat, Thomas. Dieses Verbrechen
wurde nicht von einer Frau verübt.«
Lynley fand Yolandas Laden
ohne große Probleme, aber er musste eine ganze Weile warten, denn an der Tür in
der auf historisch getrimmten Fassade hing ein Schild mit der Aufschrift: BIN IM BERATUNGSGESPRÄCH! KEIN
EINTRITT!
Lynley nahm an, dass Yolanda
gerade für einen Kunden aus Teeblättern oder aus der Handfläche die Zukunft las
oder Tarotkarten legte. Er holte sich in einem russischen Café an der Kreuzung
zweier Gänge der Markthalle einen Kaffee und kehrte mit dem Becher zu Yolandas Laden
in der Psychic Mews zurück. Inzwischen war das Schild von der Tür entfernt
worden. Hastig trank er den Kaffee aus und trat ein.
»Sind Sie das, meine Liebe?«,
rief Yolanda aus einem Hinterzimmer, das vom vorderen Bereich durch einen
Perlenvorhang abgetrennt wurde. »Sie sind ein bisschen früh.«
»Nein«, antwortete Lynley. »DI
Lynley. New Scotland Yard.«
Sie trat durch den Vorhang. Er
betrachtete ihr leuchtend rotes Haar und ihr maßgeschneidertes Kostüm, ein -
wie er, durch Helen geschult, erkannte - klassisches Chanel-Modell oder ein
Chanel-Imitat. Die Frau entsprach nicht ansatzweise dem, was er erwartet hatte.
Sie blieb wie angewurzelt
stehen, als sie ihn erblickte. »Sie pulsiert«, sagte sie.
Er blinzelte. »Wie bitte?«
»Ihre Aura. Sie hat einen
fürchterlichen Schlag abbekommen. Sie will ihre Kraft wiedererlangen, aber
irgendetwas hindert sie daran.« Noch ehe er darauf etwas erwidern konnte, hob
sie die Hand und legte den Kopf schief, als lauschte sie auf etwas. »Hm.
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