Georgette Heyer
sagen wir, wenn sie ein geeignetes Heim findet.»
«Wenn sie
heiratet, meinst du?»
Die
schmalen schwarzen Brauen zogen sich plötzlich zusammen.
«Das meinte
ich nicht, aber meinetwegen. Das alles heißt, daß Léonie unter
meiner Obhut ebenso sicher ist, wie sie es – in Ermangelung eines besseren
Beispiels – in deiner wäre.»
Hugh stand
auf.
«Ich – du –
lieber Gott, scherzest du, Justin?»
«Ich glaube
nicht.»
«Du meinst
es im Ernst?»
«Du
scheinst recht verwirrt zu sein, mein Lieber.»
«Einem
Schaf ähnlicher denn je also», gab Hugh zurück und streckte mit einem
raschen Lächeln die Hand aus. «Wenn du es ehrlich meinst – und ich
glaube, das ist der Fall ...»
«Du
überwältigst mich», murmelte Seine Gnaden.
«... dann
tust du etwas, das ...»
«... nichts
gleicht, das ich je vorher getan habe.»
«Etwas, das
verdammt gut ist!»
«Aber du
kennst ja noch nicht meine Motive.»
«Kennst du
wohl selbst deine Motive?» fragte Hugh gelassen.
«Sie sind
sehr verborgen. Ich schmeichle mir, sie – nur zu gut zu kennen.»
«Dessen bin
ich nicht so sicher.» Hugh setzte sich wieder nieder.
«Ach, du
hast mich überrumpelt. Was nun? Weiß Léon, daß du sein – ihr – hol's
der Teufel, ich verstricke mich schon wieder! – wahres Geschlecht
entdeckt hast?»
«Nein.»
Hugh
schwieg ein Weilchen.
«Vielleicht
will sie nicht mehr bei dir bleiben, nachdem du es ihr gesagt hast»,
meinte er schließlich.
«Möglich,
aber sie gehört mir und sie muß tun, was ich sie heiße.»
Hugh stand
plötzlich wieder auf und ging zum Fenster.
«Justin,
das gefällt mir nicht.»
«Darf ich
fragen, was dir nicht gefällt?»
«Sie – sie
hat dich zu gern.»
«Nun, und?»
«Wäre es
nicht besser, andere Vorkehrungen zu treffen – sie fortzuschicken?»
«Wohin, du
Gewissenhafter?»
«Ich weiß
es nicht.»
«Wie
hilfreich! Da ich es ebensowenig weiß, können wir, glaube ich, diesen
Einfall ohne weiteres beiseite tun.»
Hugh kehrte
zum Tisch zurück.
«Nun gut.
Ich hoffe, daß kein Unheil daraus erwächst, Justin. Wann wirst du – ihrer
Knabenzeit ein Ende setzen?»
«Sobald wir
in England angelangt sind. Du siehst, ich schiebe diesen Augenblick so lange
wie möglich hinaus.»
«Warum?»
«Der eine
Grund ist der, mein Lieber, daß sie sich an meiner Seite in ihrer
Knabenkleidung unbehaglich fühlen könnte, sobald ich um ihr Geheimnis weiß.
Der andere – der andere ...» Er zögerte und versenkte sich stirnrunzelnd in den
Anblick seines Fächers. «Nun, seien wir ehrlich. Ich habe Léon liebgewonnen und
möchte ihn nicht gegen Léonie eintauschen.»
«Das dachte
ich mir», nickte Hugh. «Sei gut zu Léonie, Justin.»
«Dies
entspricht durchaus meiner Absicht», erwiderte der Herzog mit einer Verbeugung.
9
LÉON
UND LÉONIE
Zu Beginn
der nächsten Woche verließ Davenant Paris, um nach Lyon zu reisen. Am selben
Tag ließ Avon seinen maître d'hôtel, Walker, kommen und informierte ihn,
daß er Frankreich am folgenden Morgen verlassen werde. Walker zeigte sich nicht
überrascht, war er doch die plötzlichen Entschlüsse seines Herrn gewohnt. Er
war eine erprobte Kraft und nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Seit
vielen Jahren stand er schon in Avons Diensten, und da er sich als ehrlich und
vertrauenswürdig bewährt hatte, hatte ihm der Herzog die Aufsicht über seine
Pariser Stadtwohnung übertragen. Seine Gnaden besaß noch ein zweites
Stadtpalais am St. James's Square zu London; und da beide ständig
bewirtschaftet und mit Dienerschaft versehen waren, kam diesem Posten
beträchtliche Bedeutung zu. Es war Walkers Aufgabe, das Hütet Avon in so
peinlicher Ordnung zu halten, daß es stets für den Herzog oder dessen Bruder
bereitstand.
Nachdem
Walker die Bibliothek verlassen hatte, ging er nach unten, um Gaston, dem
Kammerdiener, Meekin, dem Groom, und Léon, dem Pagen, anzukündigen, daß sie
sich bereithalten müßten, am nächsten Morgen von Paris aufzubrechen. Léon saß
mit baumelnden Beinen auf dem Tisch im Zimmer der Haushälterin und kaute ein
Stück Kuchen. Madame Dubois nahm den breiten Lehnstuhl vor dem Kamin ein und
betrachtete ihn kummervoll. Sie begrüßte Walker mit einem züchtigen Lächeln,
denn sie war eine anständige Frau: doch Léon legte, nachdem er einen Blick auf
die affektierte Gestalt in der Tür geworfen hatte, ein wenig den Kopf schief
und fuhr im Essen fort. «Eh bien, M'sieur!» Madame glättete ihr Kleid
und lächelte den maître
d'hôtel
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