Gerettet von deiner Liebe
sie ein. „Vielleicht bekommst du Hunger.“
„Tante Dorothea hat immer Schokoladenmakronen für mich“, erklärte er ernsthaft.
„Ehrlich gestanden, brauche ich deine Hilfe, mein Schatz. Ich will mit Tante Loisa reden, und du kannst solange an Mr. Higgins Bett sitzen.“
Nach der Morgentoilette schrieb Susannah eine Nachricht für James und schob sie unter seine Tür. Sie hörte ihn schnarchen und zögerte. Dann öffnete sie die Tür einen Spalt und erschrak.
Die Vorhänge waren zurückgezogen, das Fenster stand offen, der Stuhl neben dem Bett war zur Wand gedreht. Offenbar hatte ihn wieder ein Albtraum heimgesucht, und sie hatte nichts davon gewusst.
Leise zog sie die Tür zu, entschlossener denn je, herauszufinden, was diesem sonst so vernünftigen und klar denkenden Mann solches Grauen einjagte.
Das Frühstück war bereits angerichtet, aber es drängte sie, mit Loisa zu sprechen. Sie nahm zwei Muffins von der Anrichte und wollte zur Tür, als Chumley mit einem großen Silbertablett erschien.
„Mrs. Park“, rief er. „Ist Mr. Trevenen schon auf?“
„Nein“, antwortete sie, ohne sich aufhalten zu lassen.
„Einen Augenblick, Madam“, sagte der Butler. „Sie sollten sich das ansehen.“ Chumley hielt ihr das Tablett entgegen, auf dem sich Briefe stapelten, allesamt an Beau Crusoe adressiert.
„Was hat das zu bedeuten, Chumley?“
„Die Morgenpost, Mrs. Park“, erklärte er. „Ich glaube, es handelt sich um Einladungen.“
„Oh, nein“, hauchte sie. „Ich bin nicht sicher, ob Mr. Trevenen das bewältigt.“
„Zumindest verfügt er nun über die entsprechende Garderobe“, sagte Chumley.
„Was für eine Erleichterung“, bemerkte Susannah trocken. „Bitte sehen Sie nach, ob ein Umschlag von Lord Batchley darunter ist.“ Und wenn Sie ihn finden, verbrennen sie ihn, ergänzte sie im Stillen und dachte dabei an Lady Audley.
Lady Dorothea und Miss Sophia wollten gerade mit dem Frühstück beginnen, als Susannah hereinstürmte, die Damen mit einem hastigen Knicks begrüßte und fragte, ob Noah bei ihnen bleiben dürfe, während sie ihre Schwester aufsuchte.
„Aber gern, meine Liebe“, sagte Lady Dorothea.
Noah ließ den Blick suchend über die Anrichte schweifen. „Keine Makronen“, stellte er fest.
Susannah schmunzelte, als ihre Patentante ebenso unglücklich dreinschaute wie der kleine Junge.
Sie eilte die Treppe hinauf und klopfte. Loisa kam in den Korridor und legte den Finger an den Mund. „Mr. Higgins ist eingeschlafen.“
Susannah musterte ihre Schwester, die von der Nachtwache einen erschöpften Eindruck machen müsste, aber irgendwie aufgeblüht wirkte. Sie lächelte. „Loie, stört es dich denn nicht, dass du so wenig Schlaf bekommst?“
„Ich muss wach bleiben“, antwortete Loisa. „Wir … ich meine … er schlief letzte Nacht gut. Barmley ließ mir ein Notbett im Ankleidezimmer herrichten.“
„Meine Güte, was würde Mutter dazu sagen?“, scherzte Susannah.
„Ich mache mich nur nützlich“, antwortete Loisa leicht pikiert.
„Und das machst du fabelhaft.“ Sie seufzte. „Und nun behellige ich dich auch noch mit meinen Sorgen. Loie, mit Mr. Trevenen ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung.“
Loisa nahm sie beim Arm. „Wie kann das sein?“, fragte sie, und in ihrer Stimme lag eine Spur ihrer früheren Bitterkeit. „Er wird mit einer Auszeichnung geehrt, ist ein gut aussehender Mann, weiß sich zu benehmen und ist im Begriff, eine Sensation in der Londoner Gesellschaft zu werden.“
„Mit all dem magst du recht haben“, bestätigte Susannah und wusste nicht, wie sie die Sache erklären sollte. „Ich glaube, er wird von einem Spuk heimgesucht.“
„Menschen werden nicht von einem Spuk heimgesucht, Susannah! Nur alte modrige Schlösser!“
„Nein. Er wird von einem Gespenst verfolgt“, beharrte Susannah.
„Es ist dir wirklich ernst damit, nicht wahr?“, fragte Loisa. „Erzähl mir mehr.“
Susannah folgte ihrer Schwester ins Krankenzimmer. Am Fenster stand ein Stuhl, auf dem eine angefangene Schiffchenspitze lag.
„War Lady Dorothea hier?“, fragte Susannah und hob die Handarbeit hoch.
Schmunzelnd schüttelte Loisa den Kopf. „Sie findet, ich müsse mich beschäftigen, wenn ich bei Mr. Higgins am Krankenbett sitze.“ Sie trat auf Zehenspitzen ans Bett, betrachtete Mr. Higgins lange und kam mit einem zweiten Stuhl ans Fenster zurück. Die Schwestern setzten sich, und Loisa nahm ihre Schiffchenspitze zur Hand. „Nun erzähle,
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