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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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darf, dann – so läuft die assoziative Logik weiter – sei an dem, was man gegen sie sagen könnte, auch schon etwas daran. Wirksam ist hier ein Projektionsmechanismus: daß die, welche die Verfolger waren und es potentiell heute noch sind, sich aufspielen, als wären sie die Verfolgten. Dem kann man nur dann begegnen, wenn man nicht etwa idealisiert, wenn man nicht etwa Lobreden auf große jüdische Männer hält oder hübsche Bilder von israelischen Bewässerungsanlagen oder Kibbuz-Kindern dort vorführt, sondern eben die jüdischen Züge, auf welche die Antisemiten deuten, erklärt, ihr Recht und ihren Wahrheitsgehalt darstellt. Überhaupt ist es viel besser, als die Juden zu verharmlosen und sie als eine Art von Lämmerchen oder Sonnenjünglingen vor Augen zu stellen, zu sagen, daß sie eine große, stürmische und wilde Geschichte hatten, in der es genausoviel Furchtbares gibt wie in der Geschichte anderer Völker auch. Abstoßend wäre ein sentimentales Reklamebild. Man darf auch nicht, wie es so vielfach geschieht, die Juden, sei es aus noch so guter Absicht, mit ihrer eigenen Religion identifizieren, unter dem Gesichtspunkt ihrer religiösen Taten und Leistungen versuchen, sie ›schmackhaft‹ zu machen, sondern keinesfalls verschweigen, daß sie mit dem bürgerlichen Zeitalter wesentlich Träger der Aufklärung waren, und man muß sehr dazu sich stellen. Keine mögliche Haltung gegen das antisemitische Potential, die nicht selber mit Aufklärung sich identifizieren müßte. Den Antisemitismus kann nicht bekämpfen, wer zu Aufklärung zweideutig sich verhält. Es ist nicht von sogenannten positiven Leistungen zu schwafeln (soviel derartige positive Leistungen selbstverständich existieren), sondern gerade auf den Nervenpunkt einzugehen: das kritische Element im Geist der Juden, das verbunden ist mit ihrer gesellschaftlichen Mobilität. Dies kritische Moment ist als Moment der Wahrheit selber der Gesellschaft unabdingbar; es lag ursprünglich genau im Prinzip der gleichen bürgerlichen Gesellschaft, die heute, in ihrer Spätphase, des kritischen Moments zugunsten eines faden und falschen Ideals von Positivität sich zu entledigen sucht. – Oder, wenn ich noch ein paar solcher Modelle improvisieren darf: wenn etwa von Antisemiten gesagt wird, die Juden entzögen sich der harten körperlichen Arbeit, so wäre es nicht der Weisheit letzter Schluß, zu erwidern, es habe doch im Osten so viele jüdische Schuster und Schneider gegeben, und es gebe heute in New York so viele jüdische Taxichauffeure. Indem man so spricht, gibt man den Antiintellektualismus bereits vor und begibt sich damit schon selber auf die Ebene des Gegners, auf der man stets im Nachteil ist. Man müßte statt dessen aussprechen, daß diese ganze Argumentation eine Rancune-Argumentation ist: weil man selber glaubt, hart arbeiten zu müssen oder es wirklich muß; und weil man im tiefsten weiß, daß harte physische Arbeit heute eigentlich bereits überflüssig ist, denunziert man dann die, von denen zu Recht oder Unrecht behauptet wird, sie hätten es leichter. Eine wahre Entgegnung wäre, daß Handarbeit alten Stils heute überhaupt überflüssig, daß sie durch die Technik überholt ist und daß es etwas tief Verlogenes hat, einer bestimmten Gruppe Vorwürfe zu machen, daß sie nicht hart genug physisch arbeitet. Es ist Menschenrecht, sich nicht physisch abzuquälen, sondern lieber sich geistig zu entfalten. Entfallen müßte darum die gesamte Argumentationsreihe, die sich darauf bezieht, daß die Juden in Israel mit saurem Schweiß das Land fruchtbar machen. Ich bin der letzte, der die großartige Leistung dort verkleinert. Aber sie ist selber im Grunde nur der Reflex auf die furchtbare soziale Rückbildung, die den Juden durch den Antisemitismus aufgezwungen wurde, und nicht zu verabsolutieren, nicht so darzustellen, als ob der Schweiß an sich etwas Verdienstliches und etwas Positives wäre. All das bedarf einer gewissen Weite, Übersicht, Souveränität, welche die Phänomene in ihre Zusammenhänge rückt und so, ohne jede billige Apologetik, jedenfalls diejenigen erreicht, die überhaupt rationalen Denkens fähig sind, anstatt eine Rechthaberei zu betreiben, in der immer derjenige, der sich verteidigen will, gegenüber dem Aggressiven als der Schwächere sich erweist. – Ich möchte Ihnen noch ein Modell geben, das mit dem anderen sehr nah zusammenhängt, den Vorwurf des Vermittlertums der Juden. Rasch wird daraus der Vorwurf der

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