Gesammelte Werke
Unehrlichkeit, des Betrugs, der Täuschung – das Wort ist nun einmal mit dem Tauschen verwandt. Selten wird man auf die volle ökonomische Theorie dieses Vorurteils und seine Widerlegung eingehen, aber darauf hinweisen können, daß man, seit es eine entfaltete bürgerliche Tauschgesellschaft gibt, dieser Vermittlerfunktion gesellschaftlich bedurfte. Infolgedessen ist es illegitim, jene Funktion, nur weil sie im Zeitalter der gegenwärtigen Hochkonzentration ökonomischer Macht zurücktritt, von vornherein als parasitär, unmoralisch und schlecht zu denunzieren. Man wird weiter auch daran zu erinnern haben, daß zwischen dem Vermittlertum, der Sphäre der Zirkulation – wie man das in der Ökonomie nennt –, der Sphäre des Geldes und dem Geist eine bestimmte Relation herrscht, wie sie selbst von einem rechtsradikalen Denker wie Oswald Spengler hervorgehoben wurde. Ohne die Sphäre des Vermittlertums, die von Handel, Geldkapital und Mobilität, wäre die Freiheit des Geistes, der sich von der bloßen Unmittelbarkeit gegebener Verhältnisse löst, unvorstellbar gewesen. Was ich an Hand dieser herausgegriffenen Modelle Ihnen habe zeigen wollen, ist, daß man nur dann wirksam gegen den Antisemitismus sprechen kann, wenn man die Wahrheit sagt und die Dinge in ihrer Komplexität und ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Lokalität sieht, anstatt sich auf billige Widerlegungen zu beschränken, die ihrerseits immer wieder nur Gegenargumente herauslocken und der schlechten Unendlichkeit zusteuern.
Ich möchte jetzt eingehen auf die beiden Grundtypen von Gegenwehr, die ich für die nun einmal maßgebenden halte. Ich bediene mich dabei einmal ganz schlicht der amerikanischen Terminologie, die das ›long term program‹ und das ›short term program‹ unterscheidet; Maßnahmen, die auf lange Strecken hin geplant werden, und solche, die unmittelbar praktiziert werden sollen. Diese beiden Typen könnte man auch das Erziehungsprogramm und das unmittelbare Abwehrprogramm nennen. Für sie gilt die Unterscheidung, die ich zu Beginn anregte: daß man bei der Planung für lange Sicht möglichst der Bildung autoritätsgebundener Charaktere entgegenwirkt, daß man dagegen bei der aktuellen Einwirkung in einem gewissen Sinn der Autorität nicht ganz entraten kann. Beim ›long term program‹, also dem Problem einer Erziehung, die wirklich an den Antisemitismus heranzukommen sucht, ist es wichtig, etwas zu unterstreichen, was oft mißverstanden wird. Vielfach, und nicht immer bona fide, hält man mir entgegen, daß der Antisemitismus ja nicht nur ein psychologisches Problem sei, sondern daß er seine ökonomischen und kulturellen Wurzeln und Gott weiß was sonst habe. Diejenigen von Ihnen, die ein wenig vertraut sind mit dem Denken, für das ich sonst einstehe, werden wissen, daß ich am letzten zum Psychologismus neige. Der Antisemitismus ist nicht einfach zu einer Frage der psychologischen Einstellung zu machen. Nehmen wir aber einmal an, der Antisemitismus gehe in erheblichem Maß auf frühkindliche Erlebnisse zurück – oder jedenfalls die Grundlage dafür, daß Menschen für antisemitische Reize später rezeptiv sind, werde in ihrer frühen Kindheit gelegt –, dann wird man dabei notwendig auch auf die psychologische Seite verwiesen. Eben weil dieser Aspekt im allgemeinen vernachlässigt wird, haben wir in der Untersuchung »The Authoritarian Personality« besonderes Gewicht darauf gelegt; einfach, um dem vielen anderen, was man dazu weiß, etwas hinzuzufügen, was man offenkundig nicht ebenso gewußt hat. Ich darf indessen vielleicht doch sagen, daß Elemente einer
Gesamt
-Theorie des Antisemitismus in unserer Gesellschaft sich in dem Buch »Dialektik der Aufklärung« von Horkheimer und mir finden und daß darin diese psychologischen Aspekte ihren richtigen Stellenwert empfangen. Durch die Objektivität, in welche die psychologischen Mechanismen des Antisemitismus eingespannt sind, werden natürlich der Erziehungsarbeit gewisse Grenzen gesetzt. Man tut gut daran, diese Grenzen nicht so zu deuten, wie wenn sie bezeugten, der Antisemitismus sei ein Urphänomen. Auch sie wären aus der Dynamik der Gesellschaft abzuleiten.
Es geht also darum, in der Erziehungssphäre – im weitesten Sinn – möglichst zu verhindern, daß sich so etwas wie ein autoritätsgebundener Charakter bildet. Ich möchte dessen Theorie hier nicht geben; Sie können ja darüber viel nachlesen. Ich darf nur vielleicht an das
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