Gesammelte Werke
überfordert und der in der Gestalt der traditionellen Bildung ihnen vielfach gar nichts bedeuten kann. Zur Abwehrarbeit rechnet auch, daß man die stillschweigende Identifikation von Juden und Geist zerstört. Freiheit im Verhältnis zwischen Deutschen und Juden bestünde auch darin, daß man nicht mehr automatisch unterstellt, alle Juden seien gescheit: manche sind auch dumm. Wird einmal deutlich, daß Intelligenz nicht die Eigenschaft irgendeiner Gruppe oder Rasse oder Religion ist, sondern durchaus nur eine individuelle Qualität, so hilft das schon etwas.
Auch der sogenannten positiven Stereotypenbildung wäre entgegenzuwirken, hinter der die negative Stereotypie dicht lauert. Sagt einer: »Die Juden sind alle so gescheit«, dann ist er, auch wenn er es lobend sagt, schon nahe bei »nun ja, und deshalb wollen sie uns betrügen«. Auch der Formel »Die Juden sind ein so merkwürdiges, besonderes, tiefes Volk« ist nicht über den Weg zu trauen. Mein Freund Nevitt Sanford hat auf das antisemitische Stereotyp »Some of my best friends are Jews« lustig geantwortet: »Some of my worst enemies are Jews.« Durch Emanzipation von der Stereotypenbildung für die Gruppe als Ganzes wird wahrscheinlich dem Vorurteil wirksamer entgegengearbeitet, als wenn man ein negatives Vorurteil mechanisch durch ein positives ersetzt. Gerade die Kollektivurteile als solche, wie sie in Deutschland verhängnisvoll, und zwar gegen alle möglichen Gruppen verbreitet sind, sind abzubauen; keinesfalls ist ein falsches Kollektivurteil durch ein ebenso falsches anderes zu berichtigen.
Ein Wort noch zur Frage der Rolle des Lehrers in der Abwehr des Antisemitismus. Ich argwöhne, daß immer noch eine erhebliche Anzahl von Lehrern stumm, schweigend, unausdrücklich mit dem Antisemitismus sympathisiert. Gerade dadurch, daß sie es nicht offen sagen, sondern in einer kaum merklichen, gestischen Weise durchblicken lassen, stellen sie von vornherein eine Art Einverständnis mit den anfälligen Schülern her. Diese haben dann das Gefühl, endlich stünde wieder gesellschaftliche Autorität hinter ihnen. Sie fühlen sich gedeckt und gestärkt. Ich sagte schon, daß die halbe Andeutung für den Antisemitismus, solange er nicht die Macht ergreift, charakteristisch, daß die Form der Andeutung zuzeiten gefährlicher sei als die offene Rede. Ich maße mir nicht an, dafür Regeln aufzustellen oder gar irgendwelche Tests zu empfehlen. Aber bei der Auswahl von Lehrern wären doch Kriterien dafür zu entwickeln, die es gestatten, solche, die mit dem autoritären Charakter und dadurch mit dem Antisemitismus sympathisieren, von vornherein fernzuhalten. Ich erinnere mich aus meiner eigenen Schulzeit an einen sehr brünetten Lehrer – er hätte leicht für einen Juden gehalten werden können, ohne übrigens in seinen wissenschaftlichen Leistungen hervorzuragen; ich habe bei keinem so wenig gelernt wie bei ihm, obwohl er mir nie etwas Böses tat. Aber er verstand sich auf eine bestimmte Art Kameraderie mit den Schülern und war bei ihnen sehr beliebt, ein Mann des Typus hail-fellow-well-met. Höchst überraschenderweise rückte er gegen Ende des ersten Weltkrieges mit antisemitischen Hetzreden heraus, die ihn jedoch nicht daran hinderten, mit seinem flotten Schmiß und seinen Salonlöwenattitüden kurz danach die Tochter eines reichen Juden zu heiraten. Was aus der Ehe geworden ist, weiß ich nicht. Er verkörperte die Schule selbst, auf demagogische Weise, etwas wie eine verkrachte Existenz. Solche Sozialcharaktere unter den Lehrern, die ich übrigens keineswegs nur negativ beurteile, verdienten Studium. Ich wäre froh, wenn wir gerade über die Frage der Lehrerauswahl, die natürlich sehr schwierig ist – vor allem wegen der Gefahr des Denunziantentums und der Gesinnungsschnüffelei – reden würden. Ich kann nur ein sehr ernstes Problem bezeichnen, nicht aber seine Lösung beanspruchen. Die wäre wohl wirklich dem eigentlich pädagogischen Kreis vorzubehalten. – Gerade die Atmosphäre ›Man darf ja nichts sagen‹, also die Sympathie mit der nichtöffentlichen Meinung, wird Typen wie jenen Lehrer mit der latenten Klassenhierarchie der starken, realistischen, anti-intellektuellen Kerle zusammenbringen. Daraus resultiert dann eine verschworene Gemeinschaft bedrohlichsten Wesens.
Lassen Sie mich zum Ende noch ganz weniges sagen über die Frage eines kurzfristigen Programms. Ich sagte Ihnen bereits, daß ich bei Menschen, bei denen das Vorurteil bereits
Weitere Kostenlose Bücher