Gesammelte Werke
etabliert ist, von der Herstellung sogenannter Kontakte und ähnlichem nicht viel halte. Bei ihnen ist die Erfahrungsfähigkeit bereits abgestumpft. Antisemitischen Äußerungen ist sehr energisch entgegenzutreten: sie müssen sehen, daß der, welcher sich gegen sie stellt, keine Angst hat. Man imponiert einem bissigen Hund, sobald er merkt, daß man sich nicht vor ihm fürchtet, aber ist verloren, wenn er innerviert, daß man eigentlich vor seinem Gebiß zittert; so ist es in solchen Fällen auch. Ich habe nach meiner Rückkehr nach Deutschland mit solchen Menschen unmittelbare Erfahrungen gemacht. Einmal bin ich an einer Gruppe von Chauffeuren vorbeigekommen, die damals in dem Pool für die amerikanische Besatzungsmacht beschäftigt waren. Sie schimpften untereinander wüst auf die Juden. Ich ging zum nächsten Schutzmann und ließ sie verhaften. Auf der Wache habe ich mich lange und eingehend vor allem mit dem Rädelsführer unterhalten und habe von ihm einen Satz gehört, der sich mir sehr eingeprägt hat: »Ach wissen Sie, gestern waren wir Nazi, heute sind wir Ami und morgen sind wir Kommi.« Er hat mir damit ungewollt eine tiefe Weisheit über die ganze Charakterstruktur seines Typus verraten. Bei ihm überwiegt das Motiv der Anpassung um jeden Preis alles andere. Wenn man in solchen Fällen ohne Angst zugreift und dann auf die Argumente solcher Personen in allem frank antwortet, kann man etwas erreichen. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, daß jene Chauffeure, jedenfalls ihrer bewußten Überzeugung nach, ein wenig anderen Sinnes von der Polizeiwache weggegangen sind. Begegnet man expliziten und fixierten Vorurteilen, so ist auf eine Art Schocktherapie zu vertrauen. Man muß die allerschroffsten Gegenpositionen beziehen. Schock und moralische Kraft gehen dabei zusammen. Schlecht ist das Zurückweichen. Gerade wer dem autoritätsgebundenen Charakter fernsteht, wird nicht auf der Vollstreckung von Strafen und ähnlichem insistieren. Unsereinem ist jede Strafwut, auf amerikanisch ›punitiveness‹, ekelhaft. Aber Humanität wird meist als Zeichen von Schwäche oder schlechtem Gewissen interpretiert und fordert den Mechanismus von Erpressung heraus. Man muß sowohl im Verhalten wie in der Argumentation darauf achten, daß man nicht das Stereotyp der Schwäche auslöst, das den Vorurteilsvollen zur Hand ist gegen die, welche anderen Sinnes sind als sie selber. Argumentationen muß man auch wirklich durchfechten. Beispiel: wird einem dem Sinne nach gesagt, »wo viel Rauch ist, da muß doch auch ein Feuer sein« – (wenn es soviel Antisemitismus gibt, dann muß es doch auch an den Juden liegen), so muß man entfalten, daß dies Sprichwort vorweg zur Abwehr durch Verschiebung dient, daß es nicht wahr, sondern Ideologie ist. Bei den Vorurteilsvollen, die ja gewöhnlich eine bestimmte Art von Realismus hervorsuchen und rücksichtslos auf dem individuellen und nationalen Selbstinteresse beharren, ist anzuknüpfen an die demonstrierbaren und sichtbaren Konsequenzen des Nationalsozialismus. Sie sind darauf hinzuweisen, wohin das Ganze führt, und was ihnen selber unter einem erneuerten Ganz- oder Halbfaschismus aller Wahrscheinlichkeit nach passieren wird. Weiter sollte man sich bei diesen Menschen, die, wie gesagt, oft keineswegs dumm, sondern nur verhärtet und verstockt sind, darauf beziehen, daß niemand in unserer Gesellschaft gerne den Dummen spielen will. Man muß ihnen demonstrieren, daß der gesamte Geist des Antisemitismus, wie es in dem berühmten Zitat heißt, tatsächlich der Sozialismus der dummen Kerle ist, daß er ihnen aufgeschwätzt wird, um sie in Objekte der Manipulation zu verwandeln. Das ist die einfache Wahrheit, und sie dürfte ihren Eindruck schwerlich verfehlen, trifft man sich mit den Vorurteilsvollen auf der Ebene ihres eigenen, etwas outrierten Realismus; überzeugt man sie davon, daß sie das Gegenteil dessen erreichen, was sie eigentlich erwarten, dann wäre das ganz fruchtbar. Im Augenblick nährt noch eine besondere Situation antisemitische Regungen. Ich meine den antiamerikanischen Affekt. Irre ich mich nicht, so ist er seit der Berlin-Krise, seit jeder merkt, daß zwischen Washington und Bonn nicht alles eitel Sonnenschein ist, im Anwachsen. Gespielt wird, wohl auch in Flüsterpropaganda, auf dem alten Instrument: »Wir werden verraten, wir werden im Stich gelassen.« Der Ruf »Verrat, Verrat« ist diesseits wie jenseits des Rheins demagogisch außerordentlich bewährt. Da nun die
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