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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Aktionsfähigkeit auch von Gruppen des sogenannten ›lunatic fringe‹ weit über Mitgliederzahl und aktuelle Macht hinaus steigern. Bei der ›Ideenlosigkeit‹ einer solchen Partei, die bloß, mehr oder minder getarnt, nationalsozialistische Parolen nachredet, sollte man sich nicht allzu leicht beruhigen. Es kommt zunächst derartigen Bewegungen nicht auf Zielsetzungen an, sondern auf die ›Machtergreifung‹ durch eine Clique, die sich selbst als Elite ausgibt und gleichzeitig Umschau hält nach sozialen und ökonomischen Gruppen, die sie decken. Auffallend ist der Unterschied zwischen der überaus durchgebildeten Organisation und der geringen Zahl von ›Gefolgsleuten‹ (10000). Bestätigt wird, was auch aus analogen amerikanischen Untersuchungen hervorging: daß diese Gefolgsleute keineswegs »eine eindeutige Relation zu einer bestimmten Bevölkerungsschicht« (S. 100) hatten. Der Anteil von Arbeitslosen scheint relativ hoch gewesen zu sein – symptomatisch wichtig für den Fall neuer ökonomischer Krisensituationen –; dagegen war der Anteil der Vertriebenen und Flüchtlinge an der SRP gering. Dort, wo sie ihre größten Erfolge hatte, im nördlichen Gebiet Niedersachsens, herrscht eine großbäuerliche und großagrarische Sozialstruktur vor. Insgesamt freilich war offenbar die Partei immer noch mehr städtisch als ländlich. Jedenfalls hat ihr
objektiver
Klassencharakter sich nicht in der subjektiven Zusammensetzung ausgeprägt. Sie konnte, in ihrem engen Umkreis, mit ebensoviel Wahrheit und Unwahrheit sich als ›Sammlungspartei‹ ausgeben wie seinerzeit die alte NSDAP.
    Die zweite, mit ungewöhnlicher Intensität durchgeführte Studie, von Peter Furth, weist erstmals wohl an deutschem Material detailliert nach, daß die Ideologien rechtsradikaler Bewegungen nicht im eigentlichen Sinn des Begriffs »notwendig falsches Bewußtsein« darstellen; daß sie überhaupt nicht ihrem politischen Inhalt nach zu verstehen sind, sondern als sozialpsychologische Kalkulationen. Der Titel »Ideologie und Propaganda« verweist auf diesen zentralen Sachverhalt: besaßen Ideologien stets schon ihren propagandistischen Aspekt, so werden sie nun planvoll ganz und gar dem Primat der Propaganda unterworfen und lösen sich auf in eine Reihe mehr oder minder kohärenter ›Stimuli‹, bilden eine Art sozialpsychologischer Versuchsanordnung, die, ähnlich wie hochrationalisierte Reklame, Menschen gewinnt, indem sie ihnen Ersatzbefriedigungen vor allem kollektiv-narzißtischer Art verschafft. Die Trümmer dessen, was die Nationalsozialisten ihre Weltanschauung nannten, sind selbstverständlich ein wesentliches Element dieser Ideologie; es wird der Nachkriegssituation angepaßt; manches auch dieser entnommen. Charakteristische Züge, wie die ›Personalisierung‹, also die Verschiebung politischer und sozialer Verantwortungen von objektiven Institutionen auf einzelne Individuen, hatte die SRP-Propaganda mit verwandten Bewegungen auf der ganzen Welt gemeinsam – wie denn überhaupt die Signatur des neuen Nationalsozialismus dessen Internationalität ist; er ist aus einer primären Ideologie zu einer sekundären, ihrerseits aus den Zusammenhängen der weltpolitischen Totalität abzuleitenden geworden.
    Der Furthschen Untersuchung kommt unmittelbar aufklärender Wert zu. Indem sie die Mechanismen freilegt, auf denen Propaganda vom Schlag jener SRP spielt, zeigt sie, wie derlei Bewegungen darauf aus sind, ihre präsumtiven Anhänger »beim Wahne zu packen«, sie gegen ihre realen Interessen manipulativ einzuspannen. Die längst liquidierte Bauernfängerei der Jahrmärkte von anno dazumal hat ihren Unterschlupf in solcher modernen Politik gefunden. Der Hitlerschen Regel entsprechend muß derartige Propaganda die Linie des geringsten Widerstandes verfolgen, will sagen, nach dem niedrigsten Niveau sich richten. Dies Mittel aber, während der letzten vierzig Jahre überstrapaziert, ist zweischneidig. Je unverhüllter die Propaganda sich an die Dümmsten wendet, um so mehr setzt sie sich dem potentiellen Widerstand derer aus, die denn doch nicht die Dümmsten sein möchten. Darum wäre von größtem Wert, wenn die Ergebnisse des gesamten Buches, insbesondere die Furths, derart zusammengefaßt und dargestellt würden, daß sie als Serum für die stets noch Anfälligen wirken. In der Bundesrepublik sollte es nicht an Stellen fehlen, die bereit wären, ein solches Projekt politischer Aufklärung zu realisieren.
     
    1958
     
     
Die UdSSR

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