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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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das Gefühl hegte, in Deutschland auch einiges Gute tun, der Verhärtung und Wiederholung des Unheils entgegenarbeiten zu können, ist wohl nur ein anderer Aspekt derselben Sache.
    Ich habe eine sonderbare Erfahrung gemacht. Menschen, die konformieren, die sich mit der gegebenen Umwelt und den Herrschaftsverhältnissen, die in ihr sich ausprägen, identifizieren, passen auch im neuen Land viel leichter sich an. Hier Nationalist, dort Nationalist. Wer aber nicht mitspielt, bleibt oppositionell und distanziert auch in der neuen Kultur. Sinn für Kontinuität und Treue zu den eigenen Ursprüngen, die darin gründet, hat nichts zu tun mit Hochmut und Verstocktheit bei dem, was man nun einmal ist. Solche Treue bedeutet, daß man lieber dort etwas zu ändern sucht, wo die eigene Erfahrung ihr Zentrum hat, als daß man eines anderen Milieus wegen sich aufgibt. Ich wollte einfach dorthin zurück, wo ich meine Kindheit hatte, am Ende aus dem Gefühl, daß, was man im Leben realisiert, wenig anderes ist als der Versuch, die Kindheit verwandelnd einzuholen. Gefahr und Schwierigkeit meines Entschlusses habe ich nicht unterschätzt, aber bis heute ihn nicht bereut. Gerade weil meine Arbeit in Deutschland so wesentlich kritischen Charakters ist; weil ich mir einbilde, an den herrschenden Geist hier so wenig Konzessionen zu machen wie an den drüben, darf ich diese Motive vielleicht aussprechen, ohne dem Mißverständnis der Schwäche oder der Sentimentalität mich auszusetzen.
     
    1962
     
     
Gegen die Notstandsgesetze
    Ein Nichtjurist darf zur dritten Lesung der Notstandsgesetze einige Worte sagen im Bewußtsein, daß es sich nicht um eine juristische Frage handelt, sondern um eine reale gesellschaftliche und politische. Obwohl es in anderen Staaten analoge Gesetze gibt, die auf dem Papier sich keineswegs humaner lesen, ist in Deutschland die Situation so durchaus verschieden, daß daraus keine Rechtfertigung des Vorhabens abgeleitet werden kann. Was in der Vergangenheit geschehen ist, zeugt gegen den Plan, gar nicht erst die Ermächtigungsgesetze, sondern bereits der Paragraph 48 der Weimarer Verfassung. Er erlaubte es, die Demokratie den autoritären Absichten des Herrn von Papen in die Hände zu spielen. Hierzulande enthalten derlei Gesetze unmittelbar repressive Tendenzen in sich, anders als etwa in der Schweiz, wo Demokratie unvergleichlich viel substantieller das Leben des Volkes durchdrungen hat. Man braucht nicht, wie manche es uns zuschreiben, von politischer Hysterie erfüllt zu sein, um vor dem sich zu fürchten, was da sich abzeichnet. Die gegenwärtige Regierung und ihr Vorläufer haben seit Jahren eine Haltung zum Grundgesetz bewiesen, die für die Zukunft einiges erwarten läßt. Aus Anlaß der sogenannten Spiegelaffäre hat der verstorbene Bundeskanzler Adenauer von einem fürchterlichen Fall von Landesverrat gesprochen, der dann vor Gericht in nichts sich auflöste. Auf der Regierungsseite brachte jemand den Zynismus auf, zu erklären, die schützenden Organe dieses Staates könnten nicht mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen. Die Formulierung »etwas außerhalb der Legalität« ist unterdessen zum Bestandteil jenes Volkswitzes geworden, der sich nicht unmündig machen läßt. Wer angesichts dieser Tradition nicht mißtrauisch wird, der muß sich schon willentlich verblenden. Die restaurativen Tendenzen, oder wie man sie nennen will, sind nicht schwächer geworden, sondern haben sich verstärkt. Unsere Bundesrepublik hat nicht einmal im Ernst etwas gegen den Menschenraub getan, den südkoreanische Agenten begingen. Einzig verruchter Optimismus könnte von den Notstandsgesetzen etwas anderes erwarten als die Fortsetzung jenes Trends, nur weil sie mit soviel staatsrechtlicher Umsicht formuliert sind. Das Englische kennt eine Wendung, die von Prophezeiungen redet, welche von sich aus zu ihrer eigenen Erfüllung treiben. So steht es mit dem Notstand. Der Appetit wächst mit dem Essen. Fühlt man sich einmal dessen sicher, was alles man mit den Notstandsgesetzen decken kann, so werden sich Gelegenheiten, sie zu praktizieren, schon finden. Das ist der wahre Grund, warum man dagegen aufs schärfste protestieren muß, daß nun die bislang allmähliche Aushöhlung der Demokratie auch noch legalisiert werde. Zu spät ist es, wenn einmal die Gesetze es erlauben, jene Kräfte außer Aktion zu setzen, von denen erwartet wird, daß sie den Mißbrauch in Zukunft verhindern könnten: eben dazu wird der Mißbrauch es

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