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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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revolutionären Aktivität gerügten Studenten nur einen Ausweg aus dieser – Ihrer – Widersprüchlichkeit suchen und dabei, wie sie behaupten, nur konsequent Ihre Gedanken in die Tat umsetzen?
    Adorno:
Meine steigende Zurückhaltung der Praxis gegenüber hängt wohl weniger mit meiner individuellen Entwicklung als mit dem steigend illusionären Charakter solcher Praxis unter den gegenwärtigen Bedingungen zusammen. Daß die Studenten verzweifelt guten Glaubens einen Ausweg suchen, ist fraglos, aber ich halte diesen Ausweg für versperrt. Die Konsequenzen des Aktionismus deuten in eben die Richtung, welche die Studenten ihrem Bewußtsein nach am wenigsten wollen. Vor Widersprüchen habe ich im übrigen keine Angst. Sie können in der Sache liegen, nicht notwendig in der Person. Die Stärke eines Ichs bewährt sich darin, daß es fähig ist, objektive Widersprüche in sein Denken aufzunehmen und nicht gewaltsam wegzuschaffen.
    Frage:
Könnte ein Grund für das getrübte Verhältnis zwischen Professoren und Studenten am Institut für Sozialforschung neben Ihrer »Praxis-Abneigung« auch in der resignierenden Grundhaltung liegen, die der heutigen Frankfurter Schule (etwa von Georg Lukács und Leo Kofler) trotz aller aufklärerischen, revolutionären, antikapitalistischen Gedanken nachgesagt wird?
    Adorno:
Meine eigene Haltung, ebenso wie die von Horkheimer, halte ich für das Gegenteil von resignativ – jüngst hielt ich über diesen Punkt einen kurzen Radiovortrag für den Sender Freies Berlin, der bald im Druck erscheinen dürfte ** . Versuche, Gewissenszwang zur Aktion auszuüben, wie vor zwei Jahren, als man von mir ein Gutachten in der Angelegenheit Teufel erzwingen wollte, lassen mich unberührt. Sie dienen jener Art von Kollektivierung, die ich als die Nötigung empfinde, schlechterdings zu unterschreiben, nämlich mit Haut und Haaren sich selbst zu verschreiben. Eben das nicht zu tun, liegt in dem Begriff von Aufklärung, an dem ich festhalte. Mein Verhältnis zu meinen Studenten ist nicht mehr beeinträchtigt, als es allgemein im herrschenden Universitätskonflikt der Fall zu sein pflegt. Es wird fruchtbar und sachlich, ohne private Trübung, diskutiert.
    Frage:
Sie sind als Hochschulprofessor auch Lehrer. Fühlen Sie sich durch den öffentlichen Vorwurf, als einer der geistigen Väter der Studentenrevolte zu gelten, in Ihrem pädagogischen Verantwortungsbewußtsein getroffen. Simpel ausgedrückt: Haben Sie Schuldgefühle?
    Adorno:
Durch die Studentenrevolte fühle ich mich in meinem Verantwortungsbewußtsein nicht getroffen. Schuldgefühle habe ich nicht. Kein Mensch, der meine Sachen gelesen oder meine Vorlesungen gehört hat, hätte sie je als Anweisung zu Gewaltakten interpretieren können. Als mir 1967 erstmals in Berlin mit einer Demonstration begegnet wurde, die einen Vortrag verhindern wollte, hatte ich kein anderes Gefühl als das maßlosen Staunens.
    Frage:
Sie klagten kürzlich: »Wie konnte ich ahnen, daß Leute mein theoretisches Denkmodell mit Molotow-Cocktails verwirklichen wollen?« Trifft Sie die darin angesprochene Trübung Ihres Verhältnisses zu Ihren Studenten persönlich; sind Sie enttäuscht?
    Adorno:
Ich bin nicht enttäuscht, und wenn der Besuch der Lehrveranstaltungen etwas besagt, sind es die Studenten auch nicht. Deren Gesamtniveau halte ich nach wie vor für außerordentlich hoch. Dabei beziehe ich auch solche ein, mit denen ich, was politische Praxis anlangt, gänzlich divergiere.
    Frage:
Werden Sie aus diesen Erfahrungen Konsequenzen ziehen, etwa eine andere Form der Vermittlung Ihrer kritischen gesellschaftstheoretischen Vorstellungen erwägen, Ihr Praxisverhältnis überprüfen? Oder hat sich Ihr Verhältnis zur »kritischen Theorie« in den letzten Jahren gewandelt?
    Adorno:
Ich sehe keinerlei Anlaß, die »Form der Vermittlung« meiner kritischen gesellschaftstheoretischen Vorstellungen zu erwägen. Eine solche Änderung liefe auf Anpassung hinaus, auf das, was man heute Kommunikation zu nennen liebt: auf Verwässerung und Senkung des Niveaus, und der freilich verweigere ich mich. Über das Verhältnis von Theorie und Praxis hoffe ich bald einiges Grundsätzliche vorlegen zu können, hinausgehend über das in der »Negativen Dialektik« Gesagte *** . Das Verhältnis der Inauguration der kritischen Theorie zu dieser hat sich selbstverständlich weiterentwickelt. Ich hoffe, daß wir auch heute noch nicht in sogenannten Positionen zur Ruhe gekommen sind. Mit der kritischen

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