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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Theodor Adorno
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Minderwertigkeit der Erfahrung überzeugt ist und der Kant, indem er sich an die Methode des »Schlußverfahrens« hält, systematisch Rechnung trägt. Diese Erfahrungsunabhängigkeit des »Ich denke« vermag Kant aber nur zu behaupten, indem er den Begriff jenes »Ich denke« willkürlich spaltet und damit endlich verwirrt.
    Die Kantische Forderung, die transzendentale Seelenlehre aus dem »Ich denke« herzuleiten, bestünde dann zu Recht, wenn das »Ich denke« tatsächlich als die Einheit des Bewußtseins verstanden würde; dies Ich allerdings wäre dann nicht bloß mehr logische Einheit, sondern faßt »die gesamte Mannigfaltigkeit seiner Erlebnisse in sich« 11 . Denn die Einheit meines Bewußtseins ist ja nichts anderes als die Einheit meiner Erlebnisse und hat unabhängig vom Zusammenhang meiner Erlebnisse keinerlei Gültigkeit. Dies gerade jedoch will Kant – um des vorgegebenen Begriffs einer »rationalen Seelenlehre« aus der Schulmetaphysik willen – nicht zugestehen. Zwar: daß ich an dem »Ich denke« eine »innere Wahrnehmung« habe und mithin auch, daß »die rationale Seelenlehre ... zum Theil auf ein empirisches Principium gegründet sei« (K. d. r. V., 350), erkennt er an. Auch daß diese innere Wahrnehmung transzendental-konstitutive Bedeutung hat, bringt er zum Ausdruck: »Innere Erfahrung überhaupt und deren Möglichkeit, oder Wahrnehmung überhaupt und deren Verhältnis zu anderer Wahrnehmung, ohne daß irgend ein besonderer Unterschied derselben und Bestimmung empirisch gegeben ist, kann nicht als empirische Erkenntniss, sondern muß als Erkenntniss des Empirischen überhaupt angesehen werden und gehört zur Untersuchung der Möglichkeit einer jeden Erfahrung, welche allerdings transcendental ist.« (K. d. r. V., 350) Ja er sieht sich, da er der Tatsache nicht ausweichen kann, daß manche apriorische Erkenntnis auf Erfahrung gegründet ist, nämlich eben jede »innere Erfahrung«, während generell für ihn Erfahrung keine allgemeingültige Erkenntnis liefern kann, gezwungen, den Begriff der Erfahrung selbst, höchst paradoxerweise, in eine empirische und eine nichtempirische Erfahrung zu zerlegen; wobei eine Äquivokation insofern vorliegt, als der Begriff der Erfahrung auf die
Begründung
der Urteile, der des Empirischen oder Nichtempirischen allein auf ihre
Gültigkeit
bezogen wird. Aber obgleich er der Erkenntnis des wahren Sachverhaltes so nahe kommt, daß seine rationalistische Terminologie darüber in Unordnung gerät, verkennt er doch die positive Bedeutung jener »inneren Erfahrung« völlig. Denn der Terminus »bloße Apperzeption« ist irreführend. Das »Ich denke« bedeutet nicht allein die formale Einheit eines vorgestellten Subjekts der Gedanken = x (vgl. K. d. r. V., 352), sondern, wie bereits gesagt, die tatsächliche Einheit meiner Erlebnisse im empirischen Bewußtseinsverlauf. Was sich bei der Analyse des Bewußtseinsverlaufs als diesen begründend ergibt, sind transzendentale Bedingungen, d.h. aber nicht bloß die Möglichkeit eines Zusammenhanges überhaupt, sondern die empirisch gültigen und empirisch einsichtigen Gesetze des Zusammenhanges. Kant aber will, obwohl er einmal das »Ich denke« als eine innere Erfahrung anerkennt, es dann wieder als eine bloße Möglichkeit von Erfahrung verstanden wissen; eine widersinnige Annahme, da uns ja die innere Erfahrung, von der Kant ausgeht, eben nicht eines möglichen, sondern eines tatsächlichen Bewußtseinsverlaufs versichert. So wenig ich mir einen Bewußtseinsverlauf vorstellen kann, der von den transzendentalen Bedingungen unabhängig wäre, so wenig kann ich mir umgekehrt eine Bewußtseinseinheit vorstellen, die nicht, als Einheit meiner Erlebnisse, notwendig auf deren tatsächlichen Zusammenhang bezogen wäre. Die Bedingungen des »Ich denke« sind die Gesetzmäßigkeiten meines tatsächlichen Bewußtseinsverlaufs, und damit ist eben jener transzendentalen Psychologie das wissenschaftliche Feld geöffnet, die Kant von dort ausgeschlossen wünschte. Es ist wichtig, sich jenes Verhältnis zur Klarheit zu bringen nicht allein Kant gegenüber, sondern vor allem auch entgegen den Versuchen der heutigen Phänomenologie, die Psychologie »rein« zu begründen.
    Die Konsequenzen der Kantischen Auffassung des »Ich denke« sind bestimmend für seine Lösung des Problems der rationalen Seelenlehre. Denn es erhellt ohne weiteres, daß aus dem Prinzip des »Ich denke«, so wie es Kant faßt, keine rationale Psychologie hervorgeht.

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