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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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stimmlichen Wunderleistung erhob sie sich vom Klavier und nahm ihren Sitz an meiner Seite wieder ein; in den Ausdrücken tiefster Ergriffenheit sprach ich mein Entzücken über das Gehörte aus. Von meiner Überraschung sagte ich nichts, und doch war ich in Wahrheit höchst überrascht gewesen; denn eine leise Schwäche oder vielmehr ein gewisses Zittern in ihrer Stimme beim Sprechen hatte mich vermuten lassen, sie werde beim Singen keine besonderen Fähigkeiten entwickeln. Wir führten nun eine lange, ernste, ununterbrochene und rückhaltlose Unterhaltung. Sie ließ mich viel aus meiner Vergangenheit erzählen und lauschte mit atemloser Aufmerksamkeit jedem Wort. Ich verheimlichte nichts – ich fühlte, dass ich vor ihrer vertrauenden Zuneigung nichts zu verbergen brauchte. Ermutigt durch ihre Offenheit in der heiklen Altersfrage, gab ich nicht nur eine unverhüllte Schilderung all meiner kleinen Fehler, sondern legte ein volles Bekenntnis jener moralischen und sogar jener leiblichen Gebrechen ab, deren Enthüllung ein umso stärkerer Beweis von wahrer Liebe ist, je mehr Mut sie erfordert. Ich berührte die Unbesonnenheiten meiner Studentenzeit, meine Torheiten, meine Gelage, meine Schulden, meine Liebeleien. Ich ging sogar so weit, von einem leichten hektischen Husten zu reden, der mich einmal geplagt hatte – von einem chronischen Rheumatismus – von einer kleinen Belästigung durch ererbte Gicht – und ganz zuletzt sogar noch von der unangenehmen und peinlichen, bis jetzt aber stets sorgsam geheimgehaltenen Schwäche meiner Augen.
    »In diesem Punkt war Ihre Beichte sicher unklug«, sagte Madame Lalande mit einem Lächeln, »denn ich bin sicher, dass ohne Ihr Geständnis keiner Sie dieses Gebrechens bezichtigt haben würde. Übrigens«, fuhr sie fort, »entsinnen Sie sich vielleicht« – und hier war es mir, als bemerkte ich trotz der Dunkelheit im Raum ein Erröten bei ihr – »mon cher ami, entsinnen Sie sich vielleicht dieses kleinen Augenglases, das ich hier am Hals trage?«
    Während sie das sagte, drehte sie das nämliche Augenglas zwischen den Fingern, das mich in der Oper so namenlos verwirrt hatte.
    »Ach! Ganz genau entsinne ich mich«, rief ich und presste leidenschaftlich die zarte Hand, die mir das Glas zum Betrachten reichte. Es war ein luxuriöser, reich ziselierter und mit Edelsteinen gezierter Gegenstand, der, wie ich sogar bei dem herrschenden Halbdunkel erkennen konnte, von hohem Wert sein musste.
    »Eh bien, mon ami«, begann sie mit einer Eindringlichkeit, die mich überraschte. »Eh bien, mon ami, Sie haben mich feierlich um eine Gunst ersucht, die Sie liebenswürdigerweise unbezahlbar nannten. Sie haben mich für morgen um meine Hand gebeten. Sollte ich Ihren Bitten – und, wie ich hinzufügen kann, den Wünschen meines eigenen Herzens – nachgeben, wäre ich da nicht berechtigt, eine kleine – sehr kleine Gegengunst zu erbitten?«
    »Nenne sie!«, rief ich mit einer Kraft, die beinahe die Aufmerksamkeit der Gäste auf uns gelenkt hätte, deren Anwesenheit allein mich zurückhielt, ihr ungestüm zu Füßen zu fallen. »Nenne sie! Geliebte, meine Eugenie, du, die Meine! – Nenne sie! – Doch ach, sie ist ja schon im voraus gewährt.«
    »So sollen Sie denn, mon ami«, sagte sie, »jener Eugenie zuliebe, die Sie lieben, die soeben bekannte kleine Schwäche bekämpfen – diese mehr moralische als physische Schwäche –, die, ich versichere es, so wenig zu dem Adel Ihrer wahren Natur passt – so gar nicht mit der sonstigen Freimütigkeit Ihres Charakters übereinstimmt – und die, wenn mir noch ein Hinweis erlaubt ist, Sie bestimmt früher oder später einmal in Unannehmlichkeiten bringen wird. Sie sollen um meinetwillen diese Eitelkeit überwinden, die, wie Sie selbst gestehen. Sie veranlasst, die Schwäche Ihrer Augen zu verheimlichen. Denn in Wahrheit leugnen Sie doch diese Schwäche ab, indem Sie sich weigern, das Hilfsmittel dagegen anzuwenden. Sie werden also verstehen, dass ich Sie veranlassen möchte, eine Brille zu tragen – ah, still! – Sie haben ja schon zugestimmt, sie mir zuliebe tragen zu wollen. Sie sollen das kleine Ding hier in meiner Hand von mir annehmen, das, so unschätzbar es auch als Augenglas ist, als Schmuckstück keinen allzu großen Wert bedeutet. Sie sehen, dass es durch eine kleine Veränderung, so – oder so – als Brille aufgesetzt oder in der Westentasche als Einglas getragen werden kann. Sie haben mir aber bereits zugesagt, es in ersterer

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