Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
erfaßte der Feldzug gegen die Gutsbesitzer auch den entgegengesetzten Pol des Dorfes. Solange es noch nicht zu einem offenen Aufstand gekommen war, spielten die oberen Schichten der Bauernschaft in der Bewegung eine beträchtliche, zuweilen auch führende Rolle. Doch in der Herbstperiode blickten die wohlhabenden Bauern mit stetig wachsendem Mißtrauen auf den sich ausbreitenden Bauernkrieg: sie wußten nicht, wie es enden würde, sie hatten etwas zu verlieren, sie rückten beiseite. Aber vollends beiseitezubleiben vermochten sie doch nicht: das Dorf ließ es nicht zu.
Verschlossener und feindseliger als die "eigenen", die Gemeindekulaken, verhielten sich die außerhalb der Gemeinde stehenden kleinen Bodenbesitzer. Bauerngehöfte von nicht über fünfzig Deßjatinen Umfang zählte man im ganzen Lande sechshunderttausend. Sie bildeten an vielen Orten das Rückgrat der Genossenschaften und neigten besonders im Süden politisch zum konservativen Bauernbund, der bereits eine Brücke zu den Kadetten darstellte. "Die aus der Gemeinde ausgeschiedenen und die reichen Bauern unterstützten", nach den Worten des Minsker Bauern Gulis, "die Gutsbesitzer und waren bemüht, die Bauernschaft durch Zureden zu beschwichtigen." An manchen Stellen hatte der
Kampf innerhalb der Bauernschaft unter Einfluß lokaler Verhältnisse schon vor dem Oktoberumsturz grimmigen Charakter angenommen. Besonders scharf litten darunter die aus der Gemeinde ausgeschiedenen. "Fast sämtliche Vorwerke" erzählt der Nischegoroder Bauer Kusmitschew, "waren niedergebrannt, die Habe teils vernichtet, teils von den Bauern weggeschleppt." Der Vorwerkbesitzer war "gutsherrlicher Diener, Bevollmächtigter für mehrere gutsherrliche Waldreviere; Liebling der Polizei, Gendarmerie und seiner Herren." Die reichsten Bauern und die Kaufleute in manchen Gemeinden des Nischegoroder Kreises flohen im Herbst und kehrten erst zwei, drei Jahre später in ihre Dörfer zurück.
Doch im größten Teil des Landes erreichten die inneren Beziehungen im Dorfe bei weitem noch nicht diese Schärfe. Die Kulaken verhielten sich diplomatisch, bremsten und hemmten, waren aber bemüht, nicht allzu sehr ihre Gegnerschaft zum "Mir" (der Gemeinde) hervorzukehren. Das Dorf im allgemeinen beobachtete seinerseits sehr eifersüchtig das Kulakentum und verhinderte dessen Vereinigung mit den Gutsbesitzern. Der Kampf zwischen den Adligen und den Bauern um den Einfluß auf den Kulaken geht durch das ganze Jahr 1917 in verschiedensten Formen, von "freundschaftlicher" Beeinflussung bis zum erbitterten Terror.
Während die Latifundienbesitzer die herrschaftlichen Türen der Adelsversammlung vor den reichen Bauern umschmeichelnd öffneten, suchten die kleinen Bodenbesitzer sich demonstrativ gegen die Adligen abzugrenzen, um nicht mit ihnen zusammen unterzugehen. In der Sprache der Politik äußerte es sich darin, daß die Gutsbesitzer, die vor der Revolution den Parteien der äußersten Rechten angehörten, sich jetzt die Farbe des Liberalismus zulegten, weil sie aus alter Erinnerung diese als Schutzfarbe betrachteten; indes die bäuerlichen Bodenbesitzer, die früher häufig die Kadetten unterstützt hatten, jetzt nach links rückten.
Der Kongreß der kleinen Bodenbesitzer im Gouvernement Perm grenzte sich im September scharf ab vom Moskauer Kongreß der Gutsbesitzer, an dessen Spitze "Grafen, Fürsten und Barone" standen. Der Besitzer von fünfzig Deßjati-nen sagte: "Die Kadetten haben nie Schafpelze und Bastschuhe getragen und werden daher niemals unsere Interessen vertreten." Während sie von den Liberalen abrückten, suchten die werktätigen Bodenbesitzer solche "Sozialisten", die für das Eigentum eintraten. Einer der Delegierten sprach sich für die Sozialdemokratie aus. "... Der Arbeiter? Gebt ihm Boden, er kommt ins Dorf und hört auf, Blut zu spucken. Die Sozialdemokraten werden uns den Boden nicht wegnehmen." Es handelte sich selbstverständlich um die Menschewiki. "Unseren Boden geben wir an keinen weg. Nur der kann sich leicht von ihm trennen, der ihn leicht erworben hat, wie zum Beispiel der Gutsbesitzer. Der Bauer aber hat sein Land schwer erworben."
Während dieser Herbstperiode kämpfte das Dorf gegen die Kulaken, ohne sie von sieh zu stoßen, im Gegenteil, es zwang sie, sich der Gesamtbewegung anzuschließen und diese gegen die Schläge von rechts zu decken. Es gab sogar Fälle, wo die Weigerung, an einer Plünderung teilzunehmen, mit dem Tode des Widerspenstigen gesühnt wurde.
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