Geschichte des Westens
bejahte die Notwendigkeit vonLohnsenkungen (wenn auch nicht die einer Verlängerung der Arbeitszeit). Die Bergarbeiter antworteten am 1. Mai 1926 mit Streik. Zwei Tage später proklamierte die Führung des Trade Unions Congress (TUC) den Generalstreik, der in der Nacht vom 3. zum 4. Mai um Mitternacht begann.
Der TUC war in den Jahren zuvor deutlich nach links gerückt. Mehr als die Gewerkschaftsbünde anderer Länder hatte er sich um eine Verständigung zwischen der «Amsterdamer», das heißt reformistischen Gewerkschaftsinternationale, dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB), auf der einen und der kommunistischen Roten Gewerkschaftsinternationale (RGI) auf der anderen Seite bemüht und im April 1925 ein Ständiges englisch-russisches Gewerkschaftskomitee gegründet, was in Moskau als großer Erfolg auf dem Weg zur Weltrevolution gefeiert wurde. Der britische Generalstreik fand die Unterstützung nicht nur der beiden konkurrierenden internationalen Gewerkschaftsbünde, sondern auch der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, die im Mai 1923 in Hamburg aus dem Zusammenschluß der Zweiten Internationale und der weiter links stehenden «Wiener Internationale», der «Internationale 2½», entstanden war, und der Kommunistischen Internationale. In Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und den skandinavischen Ländern weigerten sich die Hafenarbeiter, Kohlen auf britische Schiffe zu verladen, und Eisenbahner und Seeleute, Kohle nach Großbritannien zu transportieren. Die europäische Kohlenblockade Englands war, wie Julius Braunthal in seiner «Geschichte der Internationale» schreibt, «nahezu lückenlos».
In Großbritannien selbst wurde der Generalstreikaufruf von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern mit großer Entschlossenheit befolgt. Die Schriftstellerin Virginia Woolf notierte am 4. Mai 1926 in ihr Tagebuch: «Alle Leute fahren Fahrrad, in den Autos drängen sich zusätzliche Passagiere. Es fahren keine Busse. Es gibt keine Plakate, keine Zeitungen … Gas und Elektrizität sind noch erlaubt, aber um 11 Uhr wurde das Licht abgeschaltet.» Schatzkanzler Churchill erklärte am 3. Mai im Unterhaus, entweder würden die parlamentarischen Einrichtungen und mit ihnen die Nation aus dieser Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen oder die bestehende Verfassung werde «auf verhängnisvolle Weise beschädigt» (fatally injured) und eine Art von Gewerkschaftssowjet (some Soviet of trade unions) errichtet werden, dem dann die tatsächliche Kontrolle des wirtschaftlichen undpolitischen Lebens des Landes zufalle. Die «Times» sprach von der «ernstesten Drohung, die seit dem Sturz der Stuarts über dem Land gehangen» habe, die «Daily Mail» von einer «revolutionären Bewegung», die die Regierung zu Lasten der Gesamtheit gewaltsamem Zwang unterwerfen wolle.
Die Regierung Baldwin war fest entschlossen, mit Hilfe von Notstandsmaßnahmen, zu denen sie sich am 1. Mai hatte ermächtigen lassen, den Generalstreik zügig zu beenden. Der Hyde Park verwandelte sich in ein Verteilungszentrum für Milch und Lebensmittel; in East End wurden Soldaten eingesetzt, um die Hafenbecken wieder in Betrieb zu nehmen; Polizisten patrouillierten, unterstützt von Freiwilligen der im September 1925 gegründeten halb privaten Organization for the Maintenance of Supplies und «Special Constables» in Khakiuniformen, in gepanzerten Wagen auf den Straßen und bewachten die Bahnhöfe; der Buckingham-Palast und andere königliche Gebäude wurden durch zusätzliches Wachpersonal geschützt. Nach neun Tagen endete der Generalstreik am 12. Mai mit der bedingungslosen Kapitulation des TUC. Die Regierung und die öffentliche Meinung hatten sich als stärker erwiesen als die organisierte Arbeiterschaft.
Der Erfolg auf der ganzen Linie versetzte das konservative Kabinett in die Lage, den Achtstundentag abzuschaffen und am 23. Juni 1927 den Trades Disputes and Trade Union Act verabschieden zu lassen, der General- und Sympathiestreiks für illegal erklärte und ihre Ausrufung mit zwei Jahren Gefängnis bedrohte. Außerdem wurde den Beamten und den Angestellten örtlicher Regierungsstellen die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft des TUC verboten und die Einschüchterung (intimidation) von Arbeitern durch Streikende für gesetzeswidrig erklärt. Gewerkschaftsbeiträge an die Labour Party durften fortan nur noch mit Zustimmung der Mitglieder abgeführt werden. Die Zahl der durch Streik ausgefallenen Arbeitstage ging
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