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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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trafen sich die Außenminister Frankreichs und Deutschlands, Aristide Briand und Gustav Stresemann, in einem Restaurant im nahegelegenen Dorf Thoiry zu einer Generalaussprache. Das üppige Essen und der reichlich genossene Wein ließen bei beiden eine euphorische Stimmung aufkommen. Die Minister verständigten sich darauf, daß Deutschland gegen materielle Hilfe bei der Stabilisierung des Franc – konkret ging es um die vorzeitige Abtragung eines Teils der deutschen Reparationen – politische Zugeständnisse gemacht werden sollten. Mit am wichtigsten waren die vorzeitige Rückgabe des Saargebietes, eine vorgezogene Räumung des Rheinlandes bis Ende September 1927 und die Zustimmung Frankreichs zu deutschbelgischen Vereinbarungen über eine Rückgabe Eupen-Malmedys an das Reich.
    Der Hochstimmung folgte der Katzenjammer auf dem Fuß. Ministerpräsident Poincaré, der Briands Verständigungspolitik ansonsten loyal unterstützte, tat es in diesem Fall nicht. Tatsächlich hatte der französische Außenminister in Thoiry, juristisch gesprochen, Geschäftsführung ohne Auftrag betrieben. Auch in Deutschland wurden schwere Bedenken laut wegen der Höhe des Preises, den Stresemann den Westmächten für etwaige politische Konzessionen zahlen wollte. Am Ende kam aus dem Treffen vom 17. September 1926 nicht viel mehr heraus als die Übereinkunft, daß die Internationale Militärkommission, die die Einhaltung der militärischen Bestimmungen des Vertrags von Versailles zu überwachen hatte, Deutschland am 31. Januar 1927 verlassen sollte. Thoiry hatte Erwartungen geweckt, die bei nüchterner Betrachtung von Anfang an nicht realistisch gewesen waren.
    Deutschlands Beitritt zum Völkerbund war der Höhepunkt der «Ära Stresemann». Der Mann, der im Ersten Weltkrieg ein glühender Annexionist gewesen war, der sich noch während des Kapp-Lüttwitz-Putsches als opportunistischer Taktierer hervorgetan hatte, war in der Folgezeit zum «Vernunftrepublikaner» und zum Staatsmann gereift. Als Reichskanzler im Krisenherbst 1923 trug er mehr als jeder andere dazu bei, daß die Einheit des Reiches und die Staatsform der demokratischenRepublik bewahrt wurden. Als Außenminister war er der Vorkämpfer einer Politik der friedlichen Verständigung mit dem Westen. Dem östlichen Nachbarn Polen gegenüber freilich trat Stresemann nicht weniger «national» auf als die meisten deutschen Politiker von rechts bis links. Der Außenminister der Jahre 1923 bis 1929 war ein aufgeklärter Vertreter deutscher Großmachtpolitik
und
der Anwalt eines engeren Zusammenschlusses der europäischen Staaten. Er konnte beides sein, weil sich aus seiner Sicht diese Ziele gar nicht widersprachen. Die internationale Öffentlichkeit zollte ihm wie keinem anderen deutschen Politiker der Nachkriegszeit Respekt: Am 10. Dezember 1926 wurden er und sein französischer Kollege Aristide Briand in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
    Die Mitte-Rechts-Regierung Marx war das achte Kabinett, in dem Stresemann das Amt des Außenministers innehatte. Die zweite Bürgerblockregierung war, alles in allem, weniger «reaktionär», als die Linke befürchtet hatte. Im Mai 1927 wurde unter der Ägide des deutschnationalen Innenministers von Keudell und mit den Stimmen der DNVP das Republikschutzgesetz von 1922 in abgemilderter Form auf zwei Jahre lang verlängert. Unter der Verantwortung des Zentrumspolitikers Heinrich Brauns, der seit dem August 1923 ununterbrochen an der Spitze des Reichsarbeitsministeriums stand, wurde im Dezember 1927 jenes Gesetz über die Arbeitslosenversicherung verabschiedet, von dem bereits die Rede war.
    Um diese Zeit war der Zerfall der Mitte-Rechts-Regierung bereits in Sicht. Seit Juli 1927 stritten sich die Koalitionspartner um ein von Innenminister von Keudell vorgelegtes Schulgesetz, das die rechtliche Gleichbehandlung von christlichen Gemeinschaftsschulen und konfessionellen Schulen vorsah. Zentrum, BVP und DNVP unterstützten die Vorlage; die DVP, Erbin der «kulturkämpferischen» Nationalliberalen, lehnte sie unter Hinweis auf die Reichsverfassung ab, die den Vorrang der Simultanschule festgelegt hatte. Am 15. Februar 1928 sah sich Graf Westarp, der Vorsitzende der deutschnationalen Reichstagsfraktion und der Leiter der Sitzungen des Koalitionsausschusses, zu der Feststellung gezwungen, daß in den umstrittenen Fragen eine Einigung nicht möglich erscheine, das Regierungsbündnis infolgedessen aufgelöst sei.
    In der Weimarer

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