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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Republik trug offenbar jede Form von parlamentarischer Mehrheitsregierung den Keim des Zerfalls in sich. Bei einer GroßenKoalition bildeten sozialpolitische Fragen, in einer Mitte-Rechts-Koalition Außen- und Kulturpolitik die vorgegebenen Konfliktzonen. Aus der Zeit der konstitutionellen Monarchie an den Zwang zu Kompromissen nicht gewöhnt, neigten die Parteien dazu, einzelne Ziele als nicht verhandelbar zu betrachten. Auch «staatstragende» Parteien verhielten sich immer wieder so, als verlaufe die maßgebliche Trennungslinie wie einst, in der Zeit vor dem Oktober 1918, zwischen Regierung und Reichstag und nicht, wie es der Logik des parlamentarischen Systems entsprach, zwischen Regierungsmehrheit und Opposition: Die Regierung wurde oft auch dann als «gegnerisch» empfunden, wenn die eigene Partei maßgeblich an ihr beteiligt war. Aus diesem Erbe der Kaiserzeit erklärt sich zu einem guten Teil die Labilität, die auch in den wenigen relativ ruhigen Jahren der ersten deutschen Republik ein Merkmal des deutschen Parlamentarismus war. Gefördert wurde das «falsche Bewußtsein» der Parlamentarier aber auch durch die Weimarer Reichsverfassung: Scheiterte eine Koalitionsregierung an der fehlenden Kompromißbereitschaft der sie tragenden Parteien, gab es als ultima ratio immer noch die präsidiale «Reserveverfassung» in Gestalt des Notverordnungsrechts nach Artikel 48.
    Am 31. März 1928 löste Reichspräsident von Hindenburg den Reichstag auf und setzte als Termin der Neuwahl den 20. Mai fest. Ebenfalls am 31. März traf der Reichsrat eine Entscheidung über ein Projekt, das die nächste Regierung in eine schwere Krise stürzen sollte: den Panzerkreuzer «A». Die Reichsmarine wollte mit diesem Schiff eine Reihe von Ersatzbauten einleiten und den Gesetzgeber auf ein längerfristiges, mehrere Legislaturperioden überdauerndes Programm festlegen. Der Reichsrat hatte sich im Dezember 1927 unter Führung Preußens gegen den entsprechenden Etatposten ausgesprochen; im Reichstag aber fand sich Ende März eine Mehrheit des Bürgerblocks, die eine erste Baurate bewilligte. Diesen Beschluß beantwortete der Reichsrat am 31. März mit dem Ersuchen an das geschäftsführende Kabinett Marx, die Arbeiten an dem Panzerschiff erst nach erneuter Prüfung der Finanzlage und auf keinen Fall vor dem 1. September 1928 aufzunehmen. Dieser Auflage stimmte Reichwehrminister Wilhelm Groener zu, der am 19. Januar 1928 die Nachfolge des amtsmüden Otto Geßler angetreten hatte.
    Den Parteien der Linken gab der Panzerkreuzer «A» ein zündendes Stichwort. Die KPD, die unter Führung Ernst Thälmanns in denJahren zuvor immer mehr zu einem gefügigen Instrument Stalins geworden war, setzte dem Bau des Panzerschiffs die populäre Forderung nach kostenloser Kinderspeisung an den Volksschulen entgegen. (Die bürgerliche Reichstagsmehrheit hatte die hierfür vorgesehenen 5 Millionen Reichsmark abgelehnt.) Der Parole «Kinderspeisung statt Panzerkreuzer» bedienten sich auch die Sozialdemokraten, die sich damit radikaler gaben, als sie waren. Auf ihrem Kieler Parteitag im Mai 1927 hatte die SPD keinen Zweifel daran gelassen, daß sie entschlossen war, ein neues Rechtskabinett zu verhindern und zu diesem Zweck bei einem guten Wahlausgang Regierungsverantwortung zu übernehmen.
    Auf dem äußersten rechten Rand des politischen Spektrums zog im Frühjahr 1928 eine konsolidierte NSDAP in den Wahlkampf. Adolf Hitler stand als «Führer» unangefochten an der Spitze der Nationalsozialisten. Der linke, in Norddeutschland starke Flügel um die Brüder Otto und Gregor Strasser bildete seit der Bamberger «Führertagung» vom Februar 1926 kein Gegengewicht mehr zum «Braunen Haus», der Parteizentrale, in München. Die NSDAP gab sich zwar weiterhin arbeiterfreundlich und «sozialistisch», aber schon vor der Reichstagswahl war zu erkennen, daß sie die stärkste Resonanz nicht in den großen Städten, sondern in ländlichen Gebieten fand, die besonders vom Sturz der Schweinepreise im Jahr 1927, dem Auftakt einer weltweiten Agrarkrise, betroffen war. Auf die Landbevölkerung zielte auch die neue verbindliche Deutung, die Hitler am 13. April 1928 dem Punkt 17 des Parteiprogramms von 1920 gab: Die dort geforderte unentgeltliche Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke beziehe sich lediglich auf unrechtmäßig erworbenen Besitz, in erster Linie den Besitz von «jüdischen Grundspekulationsgesellschaften».
    In der Gesellschaft

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