Geschichte des Westens
sich die USA an diese Devise hielten, drohte in Deutschland eine unvorstellbare Katastrophe. Sie hätte nicht nur die Besatzungstruppen in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch die Öffentlichkeit der westlichenDemokratien, obenan die amerikanische, gegen die Führung der USA aufgebracht. Auf einen solchen Konflikt mit der eigenen Bevölkerung und den eigenen Werten konnten es die Vereinigten Staaten nicht ankommen lassen. Deswegen war damit zu rechnen, daß Präsident Truman die Konferenz der wichtigsten drei Siegermächte, der USA, der Sowjetunion und Großbritanniens, die am 17. Juli 1945 in Potsdam begann, zu einer offiziellen Kurskorrektur nutzen würde.[ 27 ]
Potsdam: Das Verdikt der «Großen Drei»
Ein Treffen der «Großen Drei» lag nach der deutschen Kapitulation gewissermaßen in der Luft. In Teheran und Jalta hatten sich die führenden Staatsmänner der USA, der Sowjetunion und Großbritanniens über gewisse allgemeine Grundzüge der Nachkriegsordnung verständigt. Nachdem das nationalsozialistische Deutschland von ihren Truppen niedergerungen war, mußte im einzelnen geklärt werden, wie sie in Deutschland und Mitteleuropa weiter vorgehen wollten. An die Hinzuziehung einer weiteren Macht dachte man nicht: Frankreich war zwar inzwischen wieder als Großmacht anerkannt und hatte sowohl in Deutschland wie in Österreich eine Besatzungszone erhalten. Aber Stalin hatte nicht das geringste Interesse daran, mit drei statt mit zwei Westmächten zu verhandeln, und weder Truman noch Churchill sahen einen Grund, weshalb sie dem eigenwilligen General an der Spitze Frankreichs eine Gelegenheit geben sollten, die Abstimmung unter den Alliierten noch schwieriger zu machen, als sie ohnehin zu werden versprach. Schließlich hatte de Gaulle im Frühjahr 1945 durch eine Besetzung des italienischen Aostatals und durch die Entsendung von Truppen nach Libanon und Syrien die beiden angelsächsischen Mächte in einer Weise herausgefordert, die in beiden Fällen an den Rand eines militärischen Konflikts führte.
Am frühesten und nachdrücklichsten drängte Churchill auf eine Zusammenkunft mit Truman und Stalin. Bereits am 11. Mai trat er mit diesem Anliegen an den amerikanischen Präsidenten heran. Die größte Sorge des britischen Premiers war, daß die Sowjetunion es darauf anlegte, ihren Einfluß in Europa immer weiter auszudehnen. Nur ein starker und gemeinsam handelnder angelsächsischer Westen hatte nach Churchills Überzeugung eine Chance, dem «imperialistischenAusdehnungsdrang des kommunistischen Rußland» wirksam entgegenzutreten. Deshalb verwahrte sich der Premier Ende Mai gegenüber dem von Truman entsandten Sonderbotschafter Joseph E. Davies mit großer Schärfe gegen den in Washington erwogenen Plan, einem Treffen der großen Drei eine separate Konferenz des amerikanischen Präsidenten und des sowjetischen Partei- und Regierungschefs vorzuschalten: Unter solchen für Großbritannien und das Commonwealth verletzenden Bedingungen werde sich die britische Regierung an einem alliierten Treffen nicht beteiligen; sie bestehe vielmehr darauf, von Anfang an als gleichberechtigter Partner behandelt zu werden.
In einem Memorandum vom 27. Mai, das er dem seit seiner Moskauer Botschafterzeit als betont sowjetfreundlich geltenden Diplomaten übergab, hob Churchill seinen Protest gegen eine amerikanisch-sowjetische Zweierkonferenz auf die Ebene des Grundsätzlichen. «Man muß im Auge behalten, daß Großbritannien und die Vereinigten Staaten durch die gleichen Ideale verbunden sind, nämlich durch das Ideal der Freiheit und die in der amerikanischen Verfassung niedergelegten Grundsätze, die mit einigen modernen Zusätzen in der Atlantik-Charta eine bescheidene Wiederholung finden. Die Sowjetregierung huldigt einer anderen Philosophie, nämlich dem Kommunismus und der schrankenlosen Anwendung der Polizeigewalt, welche letztere sie in allen Staaten, die ihren befreienden Armeen zum Opfer gefallen sind, einführt. Der Premierminister kann sich nicht leicht zu dem Gedanken durchringen, daß für die Vereinigten Staaten Großbritannien und Sowjetrußland einfach zwei fremde Mächte sind, die ihnen ungefähr gleichviel gelten und mit denen man die aus dem vergangenen Krieg herrührenden Schwierigkeiten bereinigen muß … Die hohen Ideale und Grundsätze, für die Großbritannien und die Vereinigten Staaten gelitten haben, sind nicht bloß eine Sache des Gleichgewichts der Kräfte. Sie sind vielmehr die Eckpfeiler für
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