Geschichten aus dem Ringwelt-Universum
den Endpunkten des Mantels. Ich fand leeren Raum an einem Ende und ein schönes rothaariges Mädchen am anderen. Sie redete mit zwei Männern, die ebenso exotisch aussahen wie sie selbst.
Man kann den Eindruck bekommen, daß ein Freipark eine einzige riesige Kostümparty sei. Das ist nicht der Fall. Nicht eine Person unter zehn trägt etwas anderes als normale Straßenkleidung; aber die Kostüme sind es, die Aufmerksamkeit erregen.
Die Männer waren zur Hälfte Vögel.
Ihre Augenbrauen und Augenlider waren winzige Federn, grün bei dem einen, golden bei dem anderen. Größere Federn bedeckten ihre Köpfe in Blau und Grün und Gold und liefen ihnen in einem Kamm den Rücken hinunter. Sie waren nackt bis zu den Hüften, und ihr Körperbau hätte Jill durchaus zufriedenstellen können.
Ron hielt seinen Vortrag. »Was tut eine Regierung überhaupt für jemanden, außer für die Leute, die in der Regierung sitzen? Früher gab es private Postdienste, und sie waren billiger als das, was wir jetzt haben. Alles, was die Regierung übernimmt, wird teurer, und zwar sofort. Es gibt keinen Grund, weshalb private Unternehmen nicht alles tun können, was eine Regierung…«
Jill schnappte nach Luft. Sie sagte: »Ooh! Wie schön.«
Ron dreht sich um.
Wie auf ein Stichwort schlug das Mädchen mit dem Mantel einem der gefiederten Männer mit der Hand ins Gesicht. Sie versuchte, auch den anderen zu ohrfeigen, aber er packte sie am Handgelenk. Dann erstarrten alle drei.
Ich sagte: »Seht ihr? Keiner hat etwas davon. Sie mag es nicht einmal, stehenzubleiben. Sie…« und mir wurde klar, warum sie sich nicht bewegten.
In einem Freipark ist es einfach für ein Mädchen, ein Angebot abzulehnen. Wenn der Typ trotzdem zudringlich wird, bekommt er eine Ohrfeige. Der Betäubungsstrahl erwischt ihn und das Mädchen. Wenn sie aufwacht, geht sie einfach weg. So einfach ist das.
Das Mädchen begriff zuerst, was los war. Sie schnappte nach Luft, riß sich los und wandte sich zur Flucht. Einer der Gefiederten versuchte gar nicht erst, ihr nachzulaufen; er packte einfach mit beiden Händen nach ihrem Mantel.
Die Sache wurde langsam ernst.
Der Mantel riß sie hart nach hinten. Sie zögerte keinen Moment. Sie griff nach den großen goldenen Scheiben an ihren Schultern, riß sie los und rannte weiter. Die Vogelmänner jagten ihr lachend nach. Dem Rotschopf war nicht nach Lachen zumute. Sie rannte mit aller Kraft. Zwei Blutstropfen liefen ihr die Schultern hinunter. Ich fragte mich, ob ich nicht die gefiederten Männer aufhalten sollte, rang mich schließlich zu dem Entschluß durch – aber da waren sie schon zu weit weg.
Jill verschränkte beklommen die Arme. »Ron, woher kriegen wir jetzt eine private Schutztruppe?«
»Na ja, du kannst nicht erwarten, daß sich so etwas spontan bildet…«
»Versuchen wir es mal mit dem Eingang. Vielleicht können wir doch heraus.«
Es dauerte seine Zeit. Jedermann wußte, was ein Monitor tat. Niemand dachte es durch. Zwei gefiederte Männer, die einem hübschen nackten Mädchen nachjagten? Ein schöner Anblick, und warum sich einmischen? Wenn sie nicht wollte, daß man ihr nachjagte, dann brauchte sie nur… ja, was? Aber sonst hatte sich nichts geändert. Die Kostüme, die Leute, die ein Anliegen hatten, die Leute, die nach einem Anliegen suchten, die Leute, die Leuten zusahen, und die Scherzbolde…
Der Mann mit dem leeren Schild hatte sich zu den POPULATION-DURCH-KOPULATION-Leuten gesellt. Seine grasbefleckte rosa Straßentunika stand in seltsamem Gegensatz zu ihren konservativen Anzügen, aber er zeigte kein Zeichen von Spott; sein Gesicht war ebenso unnatürlich ernst wie die ihren. Nichtsdestotrotz schien ihnen seine Gesellschaft nicht ganz recht zu sein.
Vor dem Wiltshire-Ausgang stauten sich die Leute. Ich sah genug verstörte und enttäuschte Gesichter, um den Schluß zu ziehen, daß die Tore geschlossen waren. Der kleine Vorplatz war so voll, daß wir nicht einmal den Versuch machten, herauszufinden, was mit den Ausgängen nicht in Ordnung war.
»Ich glaube, wir sollten besser nicht hierbleiben«, meinte Jill unbehaglich.
Mir fiel auf, wie sie die Arme um ihren Oberkörper schlang. »Ist dir kalt?«
»Nein.« Sie zitterte. »Aber ich wünschte, ich hätte etwas zum Anziehen.«
»Wie wäre es mit einem Stück von diesem Mantel?«
»Gut!«
Wir kamen zu spät. Der Mantel war fort.
Es war ein warmer Septemberabend. Obwohl ich nur Papiershorts trug, war mir keineswegs kalt. Ich
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