Gespenster um Al Wheeler
umklammerte Martinellis Arm. »Mir ist es gleich, was ich zu sehen kriege. Ich brauche nur daran zu
denken, daß es dein Bruder ist. Und wie könnte jemand, der dir so nahegestanden
hat, mich ängstigen, Gabe ?«
»Mach, was du willst, Georgie «, sagte er geistesabwesend. »Ich habe jetzt gerade
eine Menge anderer Dinge im Kopf .«
Ich bat Annabelle, uns gleich
einen Wagen mit Fahrer zu besorgen, und sie nahm pflichtschuldigst den
Telefonhörer ab. Wir blieben ein paar Minuten schweigend stehen und warteten,
dann sah ich den Wagen draußen vorfahren.
»Dann wollen wir also gehen,
wie ?« sagte Martinelli ungeduldig und schlenderte zusammen mit Georgie , die
sich noch immer verzweifelt an seinen Arm klammerte und halb rennen mußte, um
mit ihm Schritt zu halten, aus dem Vorzimmer. Ed nahm einen weißen Stock von
einem Stuhl, auf den er ihn gelegt haben mußte, bevor er ins Büro
hereingekommen war, und tappte ruhig auf die Tür zu. Ich holte ihn mit ein paar
Schritten ein und nahm seinen Arm.
»Vielen Dank, Lieutenant.«
Seine Stimme war ein melodischer Segensspruch. »Ich könnte es auch allein
schaffen, aber da für Gabriele Zeit im Augenblick der
Lebensinhalt zu sein scheint, nehme ich Ihre Hilfe gerne an .«
»Sind Sie schon lange blind ?« fragte ich.
»Seit fünfzehn Jahren jetzt«,
sagte er ruhig. »Man nimmt es hin, Lieutenant, obwohl man sich nie daran
gewöhnt .«
Wir erreichten den Wagen, wo
Gabriele bereits mit der eng an ihn gepreßten Georgie auf dem Rücksitz saß. Ich half Ed, sich neben ihn
zu setzen, und ging dann um den Wagen herum, um mich neben den Fahrer zu
setzen. Niemand sprach während der Fahrt zum Leichenschauhaus ein Wort.
Charlie Katz blinzelte
überrascht, als wir in das dürftige, weißgekalkte Büro traten. »Hallo,
Lieutenant !« sagte er mit seiner Flötenstimme. »Sie
fangen an, ein regelmäßiger Besucher zu werden. Soll ich Ihnen vielleicht hier
eine Dauerunterkunft besorgen ?« Er lachte herzlich
über diesen Witz, der so alt war wie das erste Leichenschauhaus, das je auf der
Welt gebaut wurde.
»Charlie«, sagte ich
freundlich, während ich warnend zu ihm hinüber die Zähne fletschte, »dies hier
ist Mr. Martinelli . Er glaubt, er kann den Kopf
identifizieren .«
»Johannes? Meinen Johannes?«
Auf Katz’ Gesicht zeigte sich plötzliches Erschrecken.
»Was, zum Teufel, brummt er da ?« sagte Gabriele barsch.
»Kümmern Sie sich nicht um
Charlie«, sagte ich mit einem, wie ich hoffte, beruhigenden Flüsterton.
»Arbeiten Sie mal so lange in einem Leichenschauhaus wie er, dann reden Sie
auch soviel mit sich selber. Zumindest hoffe ich, daß
er wirklich mit sich selber redet«, fügte ich voller Inbrunst hinzu.
Katz blinzelte wieder heftig zu
mir herüber und schüttelte entschieden den Kopf. »Es muß sich um einen Irrtum handeln,
Lieutenant .« Seine Stimme schwankte ein wenig. »Es
kann sich nur um einen Irrtum handeln — wer sollte Johannes nach all den Jahren
haben wollen ?«
»Nun, nun, Charlie«, sagte ich
mit allzu lauter Stimme. »Nun mal voran. Ja?«
Ich packte ihn heftig am Ellbogen
und schob ihn auf den Kühlraum zu, und zwar so schnell, daß wir die anderen
zwei sekundenlang hinter uns ließen.
»Halten Sie ja Ihre große
Klappe, Charlie«, sagte ich mit mordlüsterner Stimme. »Dieser Martinelli ist davon überzeugt, daß es sich um den Kopf
seines jüngeren Bruders handelt, also nehmen Sie sich in acht .«
»Das ist doch verrückt«, sagte
er mit vor Verachtung lauter Stimme. »Johannes gehört mir und keinem anderen .«
»Wiederholen Sie den Namen noch
einmal«, zischte ich ihm ins Ohr, »und ich sorge dafür, daß Sie noch vor Mittag
hier entlassen werden !«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst,
Lieutenant ?« Der Adamsapfel hüpfte heftig in seiner
dürren Kehle.
»Wenn Sie noch einmal Ihre
große Klappe aufreißen, wird genau das passieren«, knurrte ich. »Nun holen Sie
schon diesen Topf, damit Martinelli ihn sich ansehen
kann .«
Katz eilte davon wie ein
erschrecktes Kaninchen, und er hätte mir leid getan,
wenn ich nicht den Kopf voller eigener Sorgen gehabt hätte. Die drei anderen
hatten mich inzwischen eingeholt und blieben neben mir stehen. Georgie zitterte heftig, und ihr Gesicht war blasser als
ein Morgennebel.
»Wo ist er also ?« fragte Martinelli barsch.
»Er holt ihn«, sagte ich. »Es
wird nicht lange dauern .«
»Hier drin ist es so kalt !« Georgies Zähne klapperten
haltlos aufeinander. »Warum können sie nicht ein bißchen
Weitere Kostenlose Bücher