Gewitter der Liebe
waren durch das zerfetzte Hosenbein zu erkennen, und für einen Moment glaubte Julia, sich übergeben zu müssen. Doch dann holte sie tief Luft und beugte sich über Nathan.
»Es wird alles gut«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Sobald wir in San Francisco sind, fahren wir zu einem Arzt und …”
»Julia.« Sie spürte Ross’ Hand auf ihrer Schulter. »So lange können wir nicht warten.«
Sie warf sich erschrocken herum. »Was meinst du damit? Es ist nur sein Bein, das verletzt ist.«
»Ja, aber du kannst sehen, dass das Bein nicht zu retten ist. Wenn wir nicht schnell handeln, wird Nathan sterben.«
Fassungslos starrte sie auf Nathans schmerzverzogenes Gesicht, dem gerade jemand versuchte, etwas Branntwein einzuflößen.
»Was … was habt ihr vor?«, fragte sie ängstlich, obwohl sie die grausame Antwort bereits zu wissen glaubte.
Ein anderer Mann schob sich vor. »Wir müssen ihm das Bein abnehmen, Madam. Dann hat er eine Chance zu überleben.«
Mit wilden Blicken sah sich Julia um und schrie: »Ihr seid ja alle verrückt!«
»Beruhige dich.« Ross umfasste fest ihre Schultern. »Ich weiß, dass Nathan dir viel bedeutet, Liebling. Wir alle mögen und schätzen ihn, aber sein Leben steht auf dem Spiel. Hast du das immer noch nicht begriffen? Sieh dir sein Bein an, es ist völlig zerschmettert und zertrümmert. Wenn wir es ihm abnehmen, kann er wieder ein normales Leben führen.«
Ungestüm riss sich Julia los. »Was ist das für ein Leben als Krüppel? Nathan hat große Pläne, die kann er nur auf zwei Beinen verwirklichen. Wenn er zu sich kommt und feststellt, dass ihr ihn verstümmelt habt, wird er mich hassen, weil ich es zugelassen habe!«
»Mit einem Holzbein wird er fast der Alte sein«, sagte einer der Männer. »Ich hab mal in einem Sägewerk gearbeitet, da ist einem der Leute ein mächtiger Baumstamm aufs Bein gefallen – die Verletzung sah so ähnlich aus wie bei Nathan. Der Mann weigerte sich, das Bein amputieren zu lassen. Und am nächsten Tag war er tot.«
Nathan war inzwischen in eine gnädige Ohnmacht gefallen, und traurig sah Julia zu ihm hinunter. Stand es wirklich so schlimm um den Freund?
Sie trugen ihn vorsichtig zu einem der Wagen, die sich noch am Bergfuß befanden. Dort sollte die Amputation geschehen, mit einer riesigen Säge. Die Frauen wurden bleich bei deren Anblick, und Lilly rannte davon.
»Am besten, Sie und ihre Freundin warten in einem der Wagen, bis … die Sache erledigt ist«, sagte James Cramer. »Glauben Sie mir, Mr Banks hat wirklich nur eine Chance zum Überleben, wenn ihm das zerschmetterte Bein abgenommen wird.«
Schluchzend verbarg Julia ihr Gesicht in den Händen. »Aber das ist unmenschlich!«
»Wäre es menschlicher, ihn sterben zu lassen?«
Darauf wusste sie keine Antwort und schwieg verbissen.
»Sehen Sie, seit Jahren führe ich Trecks in den Westen. So ein Unglück passiert immer wieder. Kein Arzt könnte so ein schrecklich verletztes Bein retten, auch er würde auf der Stelle amputieren. Gehen Sie jetzt zu Ihrer Freundin und lassen die Männer ihre Arbeit machen.«
Doch Julia zögerte einen Moment, dann straffte sie ihre Schultern und sagte mit fester Stimme: »Ich werde dabei helfen.«
»Das sollten Sie nicht tun, Madam«, versuchte Cramer sie umzustimmen. »Es ist eine lange, blutige Geschichte, nichts für eine Frau.«
»Das ist mir bewusst, aber vielleicht hilft es Nathan, wenn ich bei ihm bin. Nur seiner freundlichen Aufnahme haben Lilly und ich es zu verdanken, dass wir hier sind. Nun will ich ihm beweisen, wie dankbar ich ihm dafür bin.«
Achselzuckend wandte sich Cramer ab, und mit energischen Schritten eilte Julia zu dem Wagen, aus dem Nathans Schreie zu hören waren.
Nach mehr als vier Stunden war es vollbracht. Die ganze Zeit über hatte Julia Nathans Kopf auf ihren Schoß gebettet und beruhigend auf ihn eingeredet, während die Männer abwechselnd ihr blutiges Werk verrichteten.
Dank des ständig eingeflößten Alkohols und vor Schmerzen verlor Nathan immer wieder das Bewusstsein. Julia schaute nicht nach vorne, aber das furchtbare Geräusch der Säge, die sich durch die Knochen arbeitete, würde sie ihr Lebtag nicht mehr vergessen.
Erst als die stark blutende Wunde dick verbunden war, wagte es Julia, aufzuschauen. Das Bein war eine Handbreit über dem Knie abgenommen worden, und endlich versank Nathan in einen tiefen Schlaf.
Nicht nur Julia, sondern auch die anwesenden Männer waren bleich und erschöpft. Um Julia nicht
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