Gewitter der Liebe
sesshaft zu werden und sich nach einer menschenwürdigen Bleibe umzusehen. Ihr werdet bei eurem ersten Gang durch die Stadt erkennen, dass sie im Aufbau ist. Zunächst solltet ihr eure Wagen hier abstellen, um euch umzusehen.«
»Um Himmels willen. Ich hätte nicht gedacht, dass die ganze Stadt auf Hügeln gebaut ist«, entfuhr es Lilly. »Und hier soll nun unsere neue Heimat sein?«
Obwohl auch Julia dasselbe dachte, sprach sie es nicht laut aus und streckte Ross ihre Hand entgegen. Seine Nähe war tröstend, obwohl auch er maßlos enttäuscht war.
»Keine Angst, wir bleiben nicht lange in diesem Elendsviertel. Fürs Erste könnten wir uns ein Haus mieten, was meinst du?«
Sie nickte vage, dann fiel ihr siedend heiß ein, dass sie Nathan, der hilflos in seinem Wagen lag, von ihren ersten Eindrücken berichten musste.
Er wartete schon ungeduldig. »Und? Wie ist die Stadt?«
»Willst du es wirklich wissen?« Sie ließ sich seufzend neben seinem Lager auf die Knie nieder. »Es ist grauenvoll! Der ganze Stadtrand besteht aus armseligen Hütten – und stell dir vor, San Francisco besteht nur aus Hügeln und Tälern!«
Zu ihrer Überraschung nickte Nathan. »Ich habe darüber gelesen, die Straßen und Wege sind die reinsten Berg- und Talbahnen.«
»Wie kann man hier nur leben?«
»Wir werden hier leben und uns an diese ungewöhnliche Stadt gewöhnen«, erwiderte er ironisch. »Was hast du dir denn vorgestellt? San Francisco war noch vor wenigen Jahren eine kleine, von Mönchen gegründete Mission mit Handelsposten und Hafen. Erst durch den Goldfund kamen immer mehr Menschen hierher.«
Vom Eingang her erklang ein verlegenes Räuspern, und als Julia nachschaute, erkannte sie James Cramer in Begleitung eines älteren Mannes im dunklen Anzug.
»Das ist Dr. Stevens, Madam. Ich hab ihn gleich hergebracht, damit er sich Nathans Bein ansehen kann.«
Erleichtert half Julia dem etwas korpulenten Arzt auf den Wagen. Gründlich untersuchte er Nathan, dann gab er eine rötliche Tinktur auf die Wunde, die Nathan ein tiefes Stöhnen entlockte.
»Sie werden noch einige Wochen Schmerzen haben, Mr Banks«, sagte der Arzt, als er den Stumpf neu verband. »Sobald sich die Wunde geschlossen hat, können Sie versuchen, aufzustehen und Krücken benutzen. Aber ich warne Sie – muten Sie sich nicht zu schnell zu viel zu. Sie haben eine Menge Blut verloren und können froh sein, dass es noch zu keiner Infektion gekommen ist.«
»Was bin ich Ihnen schuldig, Doktor?«, wollte Nathan wissen. »Viel Geld habe ich nicht, aber …«
Dr. Stevens winkte ab. »Bezahlen können Sie später, nach Ihren ersten Goldfunden.«
»Oh, ich bin kein Goldsucher, sondern Kaufmann«, protestierte Nathan. »Ich will einen Gemischtwarenladen im Zentrum eröffnen.«
»Tatsächlich?« Mit großen Augen sah der Arzt ihn an. »Und dabei kommt doch dieser Tage jedermann in die Stadt, um Gold zu schürfen. Fleißige Geschäftsleute sind immer gern gesehen; wenn Sie sich in der Stadt umschauen, werden Sie schnell erkennen, dass viele Geschäfte geschlossen sind.«
»Wieso?«
»Wieso?« Dr. Stevens lachte. »Weil sogar die Geschäftsinhaber Gold schürfen wollen; lassen alles stehen und liegen und rennen zu den Schürferlagern weiter nördlich, in der Hoffnung, ein riesiges Nugget zu finden.«
»Hat denn schon jemand so viel Gold gefunden?«, schaltete sich Julia ein, die dem Doktor half, den Verband zu befestigen. »In den Zeitungen konnte man von täglichen Funden lesen.«
»Nicht in letzter Zeit. Kleine Goldstücke finden die Männer täglich, sie wiegen oft nur wenige Gramm. Am häufigsten bringen die Schürfer Goldstaub in die Stadt – allerdings setzen es die meisten von Ihnen noch am selben Tag in einem Saloon um. Reich ist bisher kaum jemand geworden, Madam.«
Sie begleitete den Arzt zu seinem Pferd. Auf dem Weg dorthin erkundigte sie sich, wie lange er, der ursprünglich aus Maine stammte, schon in San Francisco lebte.
»Seit mehr als drei Jahren«, gab er bereitwillig zurück. »Ich kam her, weil es keine ärztliche Versorgung vor Ort gab. Nach dem Tod meiner geliebten Frau hielt mich nichts mehr in meiner Heimat. Damals war San Francisco nur eine kleine Gemeinde von weniger als eintausend Einwohnern. Erst seit im März letzten Jahres ein Mann namens Jim Marshall in einem Bach bei der Sägemühle seines Arbeitgebers das erste Gold fand, wird die Stadt immer größer. Der Goldfund sprach sich schnell herum, die erste Notiz befand sich kurz
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