Gewitter der Liebe
darauf in der Californian, San Franciscos Tageszeitung.«
Aufmerksam lauschte Julia. Sie wollte so viel wie möglich über die Stadt und deren Bewohner erfahren.
»San Francisco ist derzeit das reinste Irrenhaus«, fuhr er kopfschüttelnd fort. »Der erste Treck ist auf dem Landweg gekommen, und es werden weitere folgen.« Sie hatten das Pferd erreicht. »Ihr Gatte tut gut daran, einen Laden zu eröffnen. Das ist ein solides Geschäft, bei dem es keine Enttäuschungen geben kann.«
Rasch klärte Julia den Irrtum auf. »Mr Banks ist nur ein lieber Freund … mein zukünftiger Gatte steht dort oben bei den anderen.«
»Entschuldigen Sie bitte. Sie und Mr Banks wirkten so vertraut, da dachte ich … nun, egal, sorgen Sie bitte dafür, dass sich Mr Banks schont. Ich schaue in den nächsten Tagen wieder nach ihm.«
»Sagen Sie, ist der Himmel hier immer so bedeckt?«
»Nur im Herbst und Winter«, wurde ihr bestätigt. »Im Sommer kann es so heiß wie in den Tropen werden.«
Bevor sich Julia wieder zu Nathan gesellte, ging sie zu Ross und den anderen hinüber, die noch immer beisammen standen und diskutierten.
Sie berichtete in Stichworten von dem Arztbesuch in der Zwischenzeit. »Dr. Stevens ist sehr hoffnungsvoll, was Nathans Genesung betrifft. Bald wird er die Krücken benutzen können.« Dann erzählte sie, was der Arzt über San Francisco gesagt hatte.
»Reich ist bisher kaum einer der Goldsucher geworden, meint Dr. Stevens.« Angestrengt blickte sie geradeaus, doch der Hafen war noch immer nicht zu erkennen. »Im Sommer soll es hier sehr warm sein.«
»Kaum vorstellbar«, murrte Lilly und kroch tiefer in ihr Schultertuch. »Diese feuchte Luft und der Wind gefallen mir nicht.«
Ross trat zu Julia und küsste sie flüchtig. »Einige von den Männern wollen einen ersten Ritt ins Zentrum machen. Kommst du allein zurecht?«
Sie verbarg ihre Enttäuschung und nickte. Eigentlich hatte sie erwartet, dass Ross sie mitnehmen würde, aber dann dachte sie, dass sie noch früh genug alles sehen würde – und außerdem wäre es unfair, Nathan an diesem ersten Tag in der neuen Heimat allein zu lassen.
Gemeinsam mit Lilly, deren Begeisterung sich längst in Luft aufgelöst hatte, ging sie zurück zu dem hilflosen Nathan, der sie schon sehnsüchtig erwartete.
»Bereust du es, hergekommen zu sein?«, fragte Julia zaghaft an ihre Freundin gewandt.
Lilly zuckte mit den Achseln. »Ich weiß noch nicht so recht, ich habe mir viel mehr unter San Francisco vorgestellt. Wie es aussieht, ist es hier genauso dreckig wie in New York – und dass man hier als Frau Geld verdienen kann, glaube ich auch nicht so recht.«
Auch Julia war nicht mehr so überzeugt. Sie hatte in der Ferne die halbfertigen Häuser gesehen und konnte sich nicht vorstellen, dass es eine lohnende Tätigkeit für sie geben könnte.
»Wir müssen das Beste daraus machen«, sagte sie mit gespielter Überzeugung. »Zurück können wir nicht mehr.«
»Noch einmal würde ich diese Hölle nicht auf mich nehmen!« Bei der Erinnerung an die Strapazen schüttelte es Lilly heftig. »Und genügend Geld, um mit dem Schiff zu fahren, haben wir auch nicht mehr.«
Nicht mehr als dreißig Dollar waren den Frauen geblieben – und nach dem ersten Blick auf die Stadt hatten sie keine Ahnung, wie und wo sie Geld verdienen könnten.
»Weißt du, was ich glaube?« Auf halbem Weg blieb Lilly stehen. »Die Zeitungen haben gelogen. Außer Goldwaschen kann man hier nichts machen … und Frauen werden nur gebraucht, weil es einen Männerüberschuss gibt. Sie haben uns alle belogen!«
Insgeheim befürchtete Julia dasselbe, doch das wollte sie nicht zugeben.
»Das Schlimmste war Nathans Unfall.« Lilly setzte sich langsam wieder in Gang, und Julia tat es ihr gleich. »Diesen Anblick aus Knochen, Blut und Fleisch werde ich immer vor Augen haben.«
»Und ich das Geräusch der Säge, als …« Sie hatten Nathans Wagen fast erreicht, sodass Julia ihre Stimme senkte. »Lass uns nicht mehr davon reden, ja?«
Stumm nickte Lilly, schlug die hintere Plane zurück und setzte ein Lächeln auf. »Hallo, Nathan, wir sind zurück. Hast du Hunger?«
Erst am nächsten Tag erfuhr Julia, was Ross in der Stadt und am Hafen erlebt hat.
»Von den halb fertig gebauten Häusern im Zentrum abgesehen«, sagte er, »herrscht dort geschäftiges Treiben. Es gibt Saloons, Geschäfte aller Art und einige Hotels. An jedem Laden und jeder Pension hängen Zettel, auf denen steht, dass dringend Mitarbeiter
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