Gewitter der Liebe
legte ihn auf den Tisch. »Wir waren eine ganze Gruppe, die zum nächsten Fluss wanderte. So etwas habe ich noch nie gesehen.« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Mann an Mann hockte am steinigen Ufer und schwenkte die Goldpfannen. Dort draußen gibt es keine Standesunterschiede; ich sah Männer in ärmlicher Kleidung neben welchen, die Frack und Zylinder trugen. Und dann die verschiedenen Rassen: Weiße, Indianer, Mexikaner, Hawaiianer, entlaufene schwarze Sklaven und Chinesen, jede Menge Chinesen. Ich frage mich, wo die alle herkommen.«
»Das sind zumeist Zimmerleute, die eigentlich San Franciscos Häuser bauen sollten und stattdessen alles stehen und liegen lassen, um lieber nach Gold zu suchen«, wusste Nathan zu berichten. »Und dort hast du so viel Gold gefunden?«
»Nein. Zwar suchten die Hofman-Brüder und ich ein freies Plätzchen, aber wir fanden nichts; auch die anderen von uns gingen leer aus. Jemand sagte, dass dort nichts mehr zu holen sei, aber an einem Flussarm zehn Meilen weiter nördlich sähe es besser aus. Also marschierten wir los und stießen auf ein Lager, das nicht nur aus Zelten bestand, sondern aus grob gezimmerten Hütten. Dort gibt es nicht nur Geschäfte, sondern auch einen primitiven Saloon.«
Ross hob sein Glas und sah sich um.
»Ich bin auf jeden Fall sehr froh, wieder hier zu sein. Die Kälte, der Schmutz und die einfachen Unterkünfte sind auf die Dauer nichts für mich.«
Julia griff nach seiner freien Hand. »Aber du wirst wieder hinausziehen?«
»Aber natürlich, was für eine Frage! Glaubst du allen Ernstes, ich gebe mich mit diesen paar Bröckchen ab, wenn die Flüsse voller Gold sind?« Er übersah ihren besorgten Blick und fuhr fort. »Das Lager ist recht groß und hat sogar einen Namen: Blessed River. Das Flussufer ist zwar uneben und sehr steinig, aber dafür bietet es mehr Platz für die Goldsucher. Nathan, du kannst ein Vermögen mit deinen Ausrüstungen machen, die Leute brauchen alles.«
»Das dachte ich mir«, gab Nathan zufrieden zurück und prostete den anderen zu. »Auf dein Wohl, Ross.«
Der Wein war süß; Julia hatte ihn auf Empfehlung von Mrs Garland gekauft.
»Josh, Gerald und ich steckten uns einen gemeinsamen Claim ab und begannen sofort mit der Arbeit. Schon nach wenigen Stunden fand Gerald einen Goldkiesel, dann noch einen und noch einen. Ich hatte erst am darauffolgenden Tag Glück, aber dann richtig.« Ross strahlte. »Ich konnte gleich mehrere Goldkiesel auf einmal aus dem Schlamm meiner Schüssel klauben – und so ging es Tag für Tag weiter.«
»Sind die Brüder mit dir gekommen?«, wollte Julia wissen, doch er verneinte. Josh und Gerald zog es erst einmal nicht in die Stadt zurück. »Aber sie haben schließlich auch keine Frau, für die es sich lohnt, zurückzukommen.«
Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln und wünschte sich, dass sie bald mit Ross allein sein durfte. Sie verzehrte sich nach seinen Küssen und den leidenschaftlichen Umarmungen. Und wenn es so weiterging, würde Ross so viel Gold finden, dass sie bald heiraten konnten.
Nathan sah den beiden nach, als sie vorgaben, müde zu sein und schlafen gehen zu wollen. Er goss sich den letzten Rest Wein ein und versuchte, nicht mehr an Julia zu denken, sondern an sein Vorhaben. Doch immer, wenn er ihr glockenhelles Lachen von oben hörte, krampfte sich sein Herz zusammen. Er würde sie immer lieben, daran bestand kein Zweifel, und er ertappte sich im Stillen bei dem Gedanken, dass er Ross’ erneuten Aufbruch kaum erwarten konnte.
Ross brach auf, nachdem er, wie versprochen, bei einem Schreiner genügend Holzbretter für ein Haus in Auftrag gegeben hatte. Unterdessen hatte Nathan den Mietvertrag für das Ladengeschäft und die Wohnung darüber unterschrieben, obwohl er große Mühe hatte, die Treppe mit seinen Unterarmkrücken zu bewältigen. Da der Beinstumpf gut verheilt war, empfahl ihm Dr. Stevens, sich demnächst ein Holzbein anfertigen zu lassen, bei einem Experten in der Main Street, der auf Prothesen spezialisiert war. Zwar hatte Josh seinerzeit versprochen, ein Holzbein für Nathan zu schnitzen, doch nach seinem ersten Aufbruch zu den Goldfeldern war er noch nicht wieder in San Francisco aufgetaucht.
Gleich nach der Schlüsselübergabe begann Julia mit dem Reinigen des schmutzigen Fußbodens sowie der verstaubten Regale und des Verkaufstresens. Etwas hilflos saß Nathan auf einem wackeligen Stuhl daneben; es war ihm unangenehm, dass Julia die ganze Arbeit
Weitere Kostenlose Bücher