Gewitter der Liebe
vertraute mir an, dass sein Leben keinen Sinn mehr hätte, denn er würde sich schämen, zu seiner Verlobten zurückzugehen und sein Scheitern zuzugeben. In San Francisco eine anständige Arbeit anzunehmen, käme für ihn nicht in Frage, da er in Ohio nichts Rechtes gelernt hätte. Diesen Mann hat der Goldrausch umgebracht – und er wird nicht der Letzte sein.«
Später, nachdem Dr. Stevens mit einem Helfer den Leichnam auf das Bett gelegt, den Totenschein ausgestellt und das Beerdigungsinstitut informiert hatte, verließ Julia die Pension. Inzwischen hatte sich Mrs Garland wieder einigermaßen gefangen und bewirtete ihre Gäste. Mr Boyer würde ein Armenbegräbnis bekommen, das stand fest, denn er hatte nicht mehr als fünfzehn Dollar in schmuddeligen zerknüllten Scheinen hinterlassen.
Julia war zu aufgewühlt, um schon nach Hause zu gehen, und so lenkte sie ihre Schritte zu Nathans Haus. Im Laden war noch allerhand los, doch Nathan selbst war nicht zu sehen. Virgil, der einem Kunden eine Ausrüstung zusammenstellte, teilte Julia mit, dass der Chef im Büro sei, jedoch Besuch hätte.
Nach kurzem Zögern klopfte Julia trotzdem an die Tür zum Büro, und bevor sie ein zweites Mal anklopfen konnte, wurde die Tür von innen geöffnet.
Entgeistert starrte Julia in Lillys Gesicht; diese war ebenso erschrocken, senkte den Blick und murmelte einen Gruß, bevor sie davonstürmte.
»Julia, tritt doch ein!«, rief Nathan von seinem Schreibtisch aus. »Ich hoffe, das Wiedersehen mit Lilly war kein zu großer Schock für dich.«
Zögernd schloss Julia die Tür hinter sich. »Was wollte sie?«
»Sie hat einige Probleme und suchte meinen Rat.«
Erst jetzt fiel Julia ein, dass Lillys Augen rotgeweint gewirkt hatten. »Haben ihre Probleme mit mir zu tun?«
Nathan stand auf und rückte ihr einen Sessel zurecht. »Nein, das ist es nicht. Aber du verstehst, dass ich ihr Vertrauen nicht missbrauchen will und unser Gespräch ein Geheimnis bleiben soll.«
Eigentlich hatte Julia mit Nathan über den Selbstmord in der Pension reden wollen, doch Lillys unverhoffter Anblick hatte sie verwirrt. Es hatte wehgetan, dieser vertrauten Person wie einer Fremden zu begegnen, aber Julia konnte ihr nicht verzeihen. Möglicherweise bestanden Lillys Probleme darin, dass Ross für sie unerreichbar bleiben würde.
Nathan spürte, wie aufgewühlt Julia war, doch er würde sich hüten, etwas von Lillys Problemen preiszugeben; er war mit beiden Frauen befreundet und hatte für sie ein offenes Ohr.
»Wie geht es dem Baby?«, erkundigte er sich mit gezwungenem Lächeln. Noch immer konnte er sich nicht damit abfinden, dass Julia das Kind eines anderen Mannes unter dem Herzen trug.
Automatisch strich sich Julia über den Leib. »Es scheint sich wohl zu fühlen, aber ich bin heute etwas … durcheinander.«
»Wegen Lilly?«
»Nein.« Nach kurzem Zögern schilderte sie den Vorfall in der Pension, der erst wenige Stunden zurücklag. »Den Anblick des Toten werde ich nie vergessen können.«
»Die Männer kommen einfach mit zu großen Erwartungen hierher«, erklärte Nathan mit besorgter Miene. »Ich sehe es an den Leuten von unserem Treck – nur wenige von ihnen sind noch in der Gegend und finden genug Gold, um zu überleben. Es tut mir schrecklich leid, dass du diesen Toten gesehen hast, aber solche Vorfälle häufen sich in letzter Zeit. Die Goldfunde werden immer geringer, und ich bin froh, dass ich mein Warensortiment ausgeweitet habe. Wenn die Flussufer kein Gold mehr zutage fördern, wird sich das bald herumsprechen und die Käufer bleiben weg. Da ist es gut, wenn man als Kaufmann vorgesorgt hat; das neue Geschäft bietet genug Platz für die verschiedensten Waren.«
Anfangs hatte Nathan die beliebten Rocker von einer Firma im Osten bezogen, nun beauftragte er einen Schreiner in San Francisco mit der Herstellung der Wiegen. Das machte sie preisgünstiger, denn der Transport mit dem Schiff war teuer und musste auf die Ware aufgeschlagen werden, wenn man keinen Verlust machen wollte.
Auch wenn Julia an diesem Tag nicht ganz bei der Sache war, hörte sie Nathan aufmerksam bei seinen Ausführungen zu. Sie bewunderte immer wieder seine ausgeklügelten Geschäftsideen, mit denen er sehr erfolgreich war.
Ross’ Vorhaben klangen daneben unausgegoren und überzogen – es gab bei ihm immer ein »wenn«, nämlich dass alles so werden würde, wie er es sich vorstellten wenn er genügend Gold fand.
»Wirst du nach der Geburt weiter für Mrs Garland
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