Gewitter der Liebe
gerade vor mir geflohen?«, fragte sie mit tonloser Stimme. Der Fußboden unter ihren Füßen schien sie verschlingen zu wollen, und sie fühlte sich elend und beschmutzt.
»Ich hatte Angst, dass du mir Fragen wegen Ross’ Untreue stellen könntest, die dir mittlerweile zu Ohren gekommen sein dürften. Ross suchte auch in San Francisco Affären mit Freudenmädchen.«
»Dieser verdammte Schuft«, zischte Nathan zwischen zusammengebissenen Lippen. »Dann hat Lilly also tatsächlich die Wahrheit gesagt.«
Julias Kopf schnellte in die Höhe – sie hatte ihrer Freundin Unrecht getan! Doch darum würde sie sich später kümmern, im Augenblick war sie zu schockiert, um irgendetwas in die Wege zu leiten.
Unruhig durch Nathans Gefühlsausbruch geworden, begann Joseph zu quengeln, sodass Julia ihn wieder zu sich nahm. Nun waren sie und ihr Sohn ganz auf sich allein gestellt – wie hatte Ross ihr das antun können? Vermutlich war ihm seit seiner Ankunft in Kalifornien bewusst gewesen, dass er nicht für immer bleiben wollte, und er hatte Julia schamlos belogen.
»Ich brauche jetzt erst einmal einen Whiskey«, verkündete Nathan mit hohler Stimme und stand auf. »Und ihr beiden sicher auch.«
Josh nickte begeistert, doch Julia schüttelte den Kopf. Sie mochte sich jetzt nicht auch noch die Sinne mit Alkohol benebeln. Fest umarmte sie ihren Sohn und versenkte das Gesicht in seinem duftigen Haar; ihr war zum Heulen zumute, doch das konnte sie immer noch, wenn sie allein war.
»Du glaubst also, dass Ross auf Nimmerwiedersehen aus Julias Leben verschwunden ist?«, fragte Nathan, während er Josh ein volles Whiskeyglas in die Hand drückte. »Vielleicht hält er sich ja doch noch in der Gegend auf?«
»Ganz bestimmt nicht. Die anderen Männer, die mit ihm zusammengearbeitet haben, konnten bestätigen, dass Ross mit seiner schweren Bürde keineswegs den Weg nach San Francisco eingeschlagen hat. Er wollte nach Santa Fé, um mit einem Handelstreck in den Osten zu kommen.«
»Und vergisst dabei die Frau, die ihm bedingungslos ihr Herz geschenkt hat.« Kopfschüttelnd setzte sich Nathan wieder. Er war nicht minder erschüttert als Julia, auch wenn er Ross immer für einen großmäuligen Windhund gehalten hatte. Dass Julia nun frei war, machte ihn nicht glücklich, denn im Herzen würde sie weiterhin um ihre verlorene Liebe trauern. »Wo steckt eigentlich dein Zwillingsbruder?«
»Er ist noch immer auf der Jagd nach Gold«, gestand Josh. »Aber ich habe genug davon, tagein, tagaus bis zu den Waden im kalten Wasser zu hocken und den Sichertrog zu schwenken. Für mich ist das Abenteuer vorüber, von meinem letzten Goldfund kann ich noch ein paar Wochen in der Pension leben. In der Zwischenzeit suche ich mir eine Arbeit als Schreiner, um mir das Geld für die Rückfahrt zu verdienen. Übrigens«, Josh machte eine kurze Pause und trank mit geschlossenen Augen einen Schluck des teuren Whiskeys, »übrigens vertraute mir Ross während des Trecks an, dass er seine Heimat verlassen hatte, um dem Mädchen zu entkommen, dem er kurz zuvor ein Kind gemacht hat.«
»Dieser elende Halunke!«, schrie Julia gepeinigt auf. »Ich will nicht noch mehr über ihn erfahren.« Sie erhob sich und flüchtete mit dem Jungen auf dem Arm schluchzend aus dem Büro.
»Du hast ihr den Schock ihres Lebens versetzt«, sagte Nathan leise. »Ich wünschte, das alles wäre nicht passiert. Warum hast du nicht wenigstens ihr einen Fingerzeig darüber gegeben, was Ross von Anfang an vorhatte?«
»Ich habe mit dem Gedanken gespielt, sogar oft. Aber sei ehrlich: Hätte sie mir geglaubt?«
»Wohl kaum.« Nathan dachte flüchtig an das Drama, das Lilly verursacht hatte, weil sie mit Julia über Ross’ Untreue gesprochen hatte. »Ich hoffe, er lässt sich nie wieder in Kalifornien blicken, denn wenn ich ihn sehe, erschieße ich ihn.«
»Das werden schon jene Damen erledigen, die er im Laufe seines unsteten Lebens benutzt hat«, versetzte Josh und schnitt eine Grimasse. »Ich würde mich wohler in meiner Haut fühlen, wenn ich nicht derjenige gewesen wäre, der Julia die Hiobsbotschaft übermittelt hätte. Was meinst du? Wird sie nun zurück nach New York gehen?«
Nathan überlegte kurz, dann erwiderte er: »Ich glaube nicht, denn dort hat sie niemanden mehr. Hier sind Lilly und ich, ihre Freunde.« Im ersten Impuls wollte er Josh verraten, dass die Freundschaft der beiden Frauen zerbrochen war und aus welchem Grund, aber dann sagte er sich, dass Josh nicht alles
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