Ghostwalker - Raven, M: Ghostwalker
wäre, die Gene in seinem Blut nachzuweisen, wüssten sie jetzt noch nicht, dass es wirklich ein Wandler war.
Wie hatte er es zwei Jahre in so einem kleinen Käfig ausgehalten? Wenn es nicht so lästig wäre, würde Lee ihn dafür glatt bewundern. So aber musste er sich überlegen, ob er den Berglöwen nicht bald beseitigen sollte, weil er weit mehr Ärger als Nutzen brachte. Es gab noch genügend andere Exemplare, die wesentlich kooperativer waren. Und mehr Potential besaßen. Letztlich reduzierte sich sowieso alles auf reine Genetik. Und jetzt hatte er ja auch Isabel, mit deren Hilfe er hoffentlich bald noch etliche weitere Exemplare anlocken konnte – wenn nicht sogar denjenigen, den er nun schon seit anderthalb Jahren suchte. Der Gedanke daran ließ sein Herz heftiger klopfen. Vielleicht war er nun endlich am Ziel seiner langen Suche. Er blickte nach unten. Aber zuerst musste er Isabel zurück in ihr Zimmer bringen.
Mit einem tiefen Seufzer hob er Isabel auf einen Tisch mit Rollen und schob sie aus dem Raum. Während er an den Türen vorbeiging, konnte er die Blicke der beiden Wandler auf sich spüren, die dort eingesperrt waren. Sie gaben keinen Laut von sich, was ihn nervöser machte als das laute Geschrei im Labor. Erleichtert ließ er schließlich das Kellergeschoss hinter sich und trat in den Fahrstuhl. Er kehrte ins Obergeschoss zurück und legte Isabel auf das Bett. Dunkle Schatten lagen, auf ihrer bleichen Haut deutlich sichtbar, unter ihren Augen. Falten hatten sich zwischen ihre Augenbrauen und um ihre Mundwinkel gegraben. Es war eindeutig etwas zwischen ihr und den Wandlern vorgegangen und morgen würde er erfahren, was das war.
Zufrieden ließ er sie im Zimmer zurück und schloss die Tür hinter sich ab. Jetzt würde er ein paar Stunden schlafen und dann musste er sich um einige andere Dinge kümmern, bevor Isabels Freunde auftauchten.
15
Bowens Finger krampften sich in seinen Sitz, als Harken den Wagen über die Oakland Bay Bridge nach San Francisco lenkte. Je näher sie der Stadt kamen, desto deutlicher konnte er Isabels Gefühlsaufruhr spüren. Furcht, Wut, Entsetzen, Schmerz … und es steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Er verstand nicht, wie ihre Verbindung funktionierte. Im letzten Jahr war er derjenige gewesen, der die Gefühle aussandte, und Isabel hatte sie empfangen, doch im Moment schien es andersherum zu sein. Auch wenn er keine Bilder von ihr im Kopf sehen konnte, war es kein Problem für ihn, zu erkennen, dass sie sich in großer Gefahr befand und er sie so schnell wie möglich dort herausholen musste. Aber dafür musste er sie zuerst finden, und das würde in dieser großen Stadt nicht einfach werden.
Harken blickte ihn prüfend an. »Spürst du etwas?«
Bowen atmete tief durch und versuchte, seine Angst um Isabel zu unterdrücken. »Ja. Eine Zeitlang war die Verbindung unterbrochen, doch seit ein paar Minuten werden die Gefühle immer stärker.«
»Dann kommen wir ihr näher?« Wie immer klang Harken, als würde er sich über das Wetter unterhalten.
Langsam schüttelte Bowen den Kopf. »Prinzipiell schon, sie ist eindeutig irgendwo dort.« Er deutete auf die Stadt, die leuchtend aus der Dunkelheit auftauchte. »Aber ich glaube, ich spüre mehr, weil sich ihr Entsetzen und ihre Schmerzen steigern.« Bowen löste seine Hände vom Sitz und faltete sie auf seinen Oberschenkeln, damit seine Krallen nicht den Stoff zerfetzten. »Wir müssen sie unbedingt so schnell wie möglich finden, Harken. Ich weiß nicht, wie lange sie den Druck noch aushält.«
»Sie ist stark. Aber wir werden tun, was wir können, das verspreche ich dir.«
Bowen biss auf seine Lippe, bis er Blut schmeckte. »Wer weiß, was ihr dort angetan wird. Und es gibt so viele Möglichkeiten, sie zu verletzen, ohne sie auch nur zu berühren.«
Harken sagte nichts dazu, aber an der Art, wie ein Muskel in seiner Wange zuckte, konnte Bowen erkennen, dass der mysteriöse Wandler keineswegs so ruhig war, wie er wirkte.
Erst als sie von der Brücke herunterrollten, wandte er sich wieder Bowen zu. »Okay, ich fahre jetzt durch die Stadt und du sagst mir, wann wir Isabel näher kommen. Es ist ganz egal, wie lange wir dafür brauchen, irgendwann werden wir sie finden.«
Bowen war sich dessen nicht so sicher, und das Drängen in ihm, Isabel zu finden und in die Arme zu schließen, wurde immer stärker. Deshalb schloss er die Augen und konzentrierte sich nur noch auf die Verbindung zu Isabel. Er spürte, wie Isabel immer
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