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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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einmal beschützten, folgte ich ihm wie ein Entenjunges. Wir lugten um eine Ecke und sahen eine Kammer – nicht den Hörsaal mit dem Geist meines Vaters – sondern die Wände verkleidet mit schwarzen und violetten Steinquadraten. Dort kniete auch der Lord mit dem Rücken zu uns. Wegen seiner massigen Gestalt sahen wir nur, wie er angestrengt atmete und etwas – so zumindest wirkte es von unserer Position aus – zusammen- oder aufschnürte. Ich war so gebannt davon und zu beschäftigt, meine Gedanken zu ordnen, ihn nicht augenblicklich in Stücke zu reißen. Kierans scharfes Atemholen schreckte mich auf. Mit vor Schrecken – und etwas anderem, das ich bis jetzt noch nicht an ihm kannte – geweiteten Augen, starrte er in eine Ecke. Ich hob das Kinn, um an ihm vorbei zu schielen, um zu sehen, was er sah.
    Noch nie hatte ich mir so sehnlichst gewünscht, seinem Blick nicht gefolgt zu sein. Denn hier begann unser ganz persönlicher Albtraum.

    Möglichst schonend zu berichten, was wir dort vorfanden, ist hier leider nicht möglich, dennoch versuche ich mich in Zurückhaltung.
    Aus hellem Holz, mit geschnitzten Blumen und Libellen verziert, standen dort drei kurze Bänke. Um sie herum war, wie für einen altmodischen Elfenbannkreis, eine Spur aus getrocknetem Efeu und dunklen Lilien gezogen. Von der Decke hingen die erwarteten Haken, um die sich etliche Schals drapierten, aus feinem durchscheinenden Stoff, der orientalisch anmutete und in dunklem Rot und Lila schimmerte. Sie fielen auf die drei Bänke herab, wie bunte Wasserfälle, und darauf saßen, in ordentlichem Anreihen, blutjunge Frauen!
    Leblos wie Puppen, blickten sie entrückt in eine unsichtbare Ferne. Ihre erstarrten Gesichter, einst reizvoll und lieblich, umspannte rissige, bereits gelbliche Haut, die … verzeih mir, die … nun, die stellenweise vom Muskel hing, wie altes Pergament ohne Spannkraft. Die Augen, rot von geplatzten Äderchen oder bereits ausgelaufen, die Lippen bei den Älteren von ihnen zu einem schmalen Grinsen von den Zähnen zurückgezogen, saßen sie da, um sich auf ewig von ihrem Bräutigam bewundern zu lassen. Wie erschöpfte Mädchen beim späten Picknick stützten sie einander. Einige schienen, als hätten sie ihre Köpfe auf die Schultern der Nächsten gelegt. Andere saßen zwischen den offen stehenden Schenkeln ihrer Leidensgenossinnen. Eine Einzelne, mit langen haselnussbraunen Locken, lag mit angewinkeltem Arm und darauf ruhendem Kopf halb im Schoß einer über ihr Sitzenden und sie alle schwankten leicht im dunstigen Licht flackernder Lampen, was ihnen etwas beinahe Lebendiges verlieh. Jede trug ein mädchenhaftes Kleid aus teurem Stoff, verziert mit Schleifen aus Samt und Spitze. In einigen erkannte ich die elegante Mode von französischen Städterinnen und die elegante britische Mode, die meine Herrin sich aus den großen Städten von Übersee anliefern ließ. Alle Kleider stammten aus den Modesaisons der letzten drei Jahre. Nicht allen passte ihr letztes Kleid wie angegossen, und wo es sich bei der einen um die nun vertrocknete Brust spannte, flatterte es bei der anderen locker um die dürren, ausgezehrten Arme.
    Ich näherte mich zuerst diesem kranken Bildnis. Angewidert schlich ich auf leisen Sohlen auf sie zu und erkannte, dass die hinten Sitzenden an – oder besser in – Haken befestigt waren, die, hinter den Stoffen versteckt, ebenfalls von der Decke hingen. Beim Näherkommen sah ich, dass die Augenlider mit kleinen kupfernen Klammern auf ewig halb geöffnet worden waren, auf dass sie ewig verträumt ins Nichts blickten. Das eine Ende der Klammer war mit dem jeweiligen Augenlid verankert, wohingegen das andere in der dünnen Haut unterhalb der Brauen steckte. Bei einer hatte sich eine der Klammern bereits gelöst und trotz der Leichenstarre hing ihr Auge wie in einer unendlichen Müdigkeit ein wenig nach unten.
    Ebenso wie die Augen hatte der Mörderbräutigam auch die Mundwinkel so zu kleinen Lächeln getackert. Ich vergaß alle Vorsicht und stieg durch die vertrockneten Blüten, die unter meinen Füßen knackten wie die Panzer von Käfern. Hinter mir geriet alles plötzlich in Bewegung und etwas ging vor sich. Doch mein Blick haftete wie festgeklebt an den Dingern in ihren elfenhaften Kleidern, Miedern und Röckchen, deren verwesende Hände in edlen Fingerhandschuhen aus dünner Spitze steckten, deren Hälse mit prunkvollen Colliers behangen waren. Die Haare zu kunstvollen Locken gesteckt, sahen sie nach dem Rudel

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