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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sind Richter und Gesetzgeber in einer Person und borgen sich ihr Ansehen von andern Ämtern als denen, die ihnen ihren ganzen Glanz verleihen sollten. Kurz, die Richter sinnen darauf, sich auszuzeichnen, um dann zu avancieren, wie man im Heer und in der Verwaltung avanciert.
    Wenn dieser Gedanke die Unabhängigkeit des Richters nicht untergräbt, so ist er doch zu bekannt und zu natürlich, als daß nicht durch ihn der Richterstand in der öffentlichen Meinung sein Ansehen verlöre. Das vom Staat bezahlte Gehalt macht aus dem Priester und dem Richter einfache Beamte. Die zu ersteigenden Stufen entwickeln den Ehrgeiz; der Ehrgeiz erzeugt Willfährigkeit gegen die Macht; ferner stellt die moderne Gleichheitssucht den Gerichtsuntertanen und den Richter auf das gleiche Niveau der sozialen Stufenleiter. So sind die beiden Säulen jeder sozialen Ordnung, die Religion und die Justiz, im neunzehnten Jahrhundert geschwächt worden, und man behauptet, man schreite in allem fort!
    »Und weshalb solltest du nicht avancieren?« fragte Amelie Camusot. Sie sah ihren Gatten mit spöttischer Miene an, denn sie fühlte, daß es nötig war, dem Mann, der der Träger ihres Ehrgeizes war und auf dem sie spielte wie auf einem Instrument, seine Energie zurückzugeben. »Weshalb verzweifeln?« fuhr sie fort, und zwar mit einer Geste, die ihre Gleichgültigkeit in betreff des Todes des Untersuchungsgefangenen trefflich malte. »Dieser Selbstmord wird die beiden Feindinnen Luciens, Frau d'Espard und ihre Cousine, die Gräfin du Châtelet, glücklich machen. Frau d'Espard steht sich vortrefflich mit dem Justizminister, und durch sie kannst du bei Seiner Gnaden eine Audienz erhalten; dann wirst du ihm das Geheimnis dieser Angelegenheit verraten; wenn aber der Justizminister für dich ist, was hast du da von deinem Präsidenten und dem Oberstaatsanwalt zu fürchten?« »Aber Herr und Frau von Sérizy!« rief der arme Richter aus. »Ich wiederhole dir, Frau von Sérizy ist wahnsinnig! Und wahnsinnig durch meine Schuld, wie man behauptet!« »Nun, wenn sie wahnsinnig ist, du Richter ohne Urteilskraft,« rief Frau Camusot lachend, »so kann sie dir nicht mehr schaden! Laß sehen, erzähle mir alle Einzelheiten des Tages.« »Mein Gott,« erwiderte Camusot, »in dem Augenblick, als ich diesen unglücklichen jungen Mann in die Beichte genommen und er erklärt hatte, daß dieser angebliche spanische Priester wirklich Jakob Collin ist, schickten mir die Herzogin von Maufrigneuse und Frau von Sérizy durch einen Kammerdiener ein Billett, in dem sie mich baten, ihn nicht zu verhören. Alles war geschehen ...« »Aber hast du denn den Kopf verloren?« sagte Amelie; »denn da du deines Kanzlisten sicher bist, konntest du Lucien doch zurückholen lassen, ihn geschickt beruhigen und dein Protokoll verbessern!« »Du bist wie Frau von Sérizy, du machst dich lustig über die Geschichte!« sagte Camusot, der nicht imstande war, über seinen Beruf zu lachen. »Frau von Sérizy hat mir meine Protokolle weggenommen und ins Feuer geworfen!« »Das nenne ich eine Frau! Bravo!« rief Frau Camusot. »Frau von Sérizy sagte mir, sie würde eher den Palast in die Luft sprengen, als zugeben, daß ein junger Mann, der ihre Gunst und die der Herzogin von Maufrigneuse besessen habe, sich neben einen Sträfling auf die Bänke des Schwurgerichts setzen müßte!...« »Aber Camusot,« sagte Amelie, die ein überlegenes Lächeln nicht unterdrücken konnte, »deine Stellung ist wundervoll ...« »Ach ja, wundervoll!« »Du hast deine Pflicht getan ...« »Unglücklicherweise; und dem jesuitischen Rat des Herrn von Granville zum Trotz, der mir auf dem Quai Malaquais begegnete ...« »Heute morgen?« »Heute morgen!« »Wann?« »Um neun Uhr.« »O Camusot!« sagte Amelie, indem sie die gefalteten Hände rang, »und ich höre nicht auf, dir immer zu wiederholen, daß du auf alles achtgeben mußt ... Mein Gott, das ist kein Mensch, das ist eine Steinkarre, die ich ziehe! Aber Camusot, dein Oberstaatsanwalt erwartete dich auf deinem Wege, er wird dir doch einen Rat gegeben haben!« »Aber ja ...« »Und du hast ihn nicht verstanden! Wenn du taub bist, wirst du dein Leben lang Untersuchungsrichter bleiben, aber ohne Untersuchungen. Zeige doch wenigstens so viel Geist, mir jetzt zuzuhören!« sagte sie, indem sie ihren Gatten, der reden wollte, zum Schweigen brachte. »Du meinst, diese Angelegenheit sei zu Ende?« fragte Amelie. Camusot sah seine Frau mit jener Miene an, die die

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