Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
darauf schrieb Esther, von Gewissensbissen ergriffen, folgenden Brief:
»Herr Baron!
Schenken Sie dem Brief, den Sie von mir erhalten haben, nicht die geringste Beachtung, ich hatte einen Rückfall in die tolle Art meiner Jugend; verzeihen Sie ihn einem armen Mädchen, das Sklavin sein soll. Ich habe die Niedrigkeit meines Standes nie schärfer empfunden als seit dem Tage, da ich Ihnen überliefert wurde. Sie haben gezahlt, ich schulde mich. Nichts ist heiliger als die Schulden der Unehre. Ich habe nicht das Recht zu ›liquidieren‹, indem ich mich in die Seine werfe. Mit dieser furchtbaren Münze, die nur für die eine Seite gut ist, kann man eine Schuld immer bezahlen. Ich stehe Ihnen also zur Verfügung. Ich will in einer einzigen Nacht alle Summen zahlen, die für diesen verhängnisvollen Augenblick verpfändet sind, und ich bin überzeugt, daß eine Stunde bei mir Millionen wert ist, um so mehr, als es die einzige, die letzte sein soll. Nachher werde ich frei sein; dann kann ich aus dem Leben scheiden. Eine anständige Frau hat die Möglichkeit, sich von einem Fall wieder zu erheben; aber wir, wir fallen zu tief. Deshalb steht mein Entschluß auch so fest, daß ich Sie bitte, diesen Brief aufzuheben als Zeugnis für die Ursache des Todes derer, die sich auf einen Tag nennt
Ihre Dienerin
Esther.«
Als dieser Brief abgegangen war, kam Esther ein Bedauern an. Zehn Minuten später schrieb sie den dritten Brief, der hier folgt.
»Verzeihen Sie, lieber Baron, ich bin es noch einmal. Ich habe mich weder über Sie lustig machen noch Sie verletzen wollen; ich will Sie nur zum Nachdenken über diesen einzigen Gedankengang bringen: wenn wir in den Beziehungen eines Vaters zu seiner Tochter leben, so haben Sie einen schwachen, aber dauerhaften Genuß; wenn Sie die Erfüllung des Vertrags verlangen, so werden Sie mich beweinen. Ich will Sie nicht länger langweilen: der Tag, an dem Sie statt des Glücks den Genuß erwählen, wird für mich ohne ein Morgen sein.
Ihre Tochter
Esther.«
Bei dem ersten Brief geriet der Baron in jenen kalten Grimm, der einen Millionär töten kann; er sah sich im Spiegel und schellte. »Ain Fußpad! ...« rief er seinem neuen Kammerdiener zu.
Während er das Fußbad nahm, kam der zweite Brief; er las ihn und fiel bewußtlos zu Boden. Man trug den Millionär auf sein Bett. Als der Geldmann wieder zu sich kam, saß Frau von Nucingen am Fuß des Bettes.
»Dies Mädchen hat recht!« sagte sie. »Weshalb wollen Sie die Liebe kaufen? Zeigen Sie mir Ihren Brief.« Der Baron gab die verschiedenen Entwürfe her, die er gemacht hatte. Frau von Nucingen las sie lächelnd. Der dritte Brief kam.
»Das ist ein erstaunliches Mädchen!« rief die Baronin, nachdem sie auch diesen letzten Brief gelesen hatte. »Was tun, knätige Frau?« fragte der Baron. »Warten.« »Warten?« erwiderte er; »die Nadur ist unerpittlich...« »Hören Sie, mein Lieber,« sagte die Baronin, »endlich einmal sind Sie gut und vernünftig zu mir; ich werde Ihnen also einen guten Rat geben.« »Sie sind aine kute Frau!« sagte er,» »machen Se Schulden, ich peßahle sie...« »Was Ihnen beim Empfang der Briefe dieses Mädchens widerfahren ist, rührt eine Frau mehr als verschwendete Millionen und alle Briefe, so schön sie auch sein mögen; versuchen Sie, daß sie es auf Umwegen erfahre, dann werden Sie sie vielleicht besitzen! Und ... haben Sie keine Angst, sie wird nicht daran sterben,« sagte sie, indem sie ihren Gatten lange forschend ansah.
Frau von Nucingen hatte nicht die geringste Ahnung vom Wesen der Dirne.
›Wieviel Keist die Frau von Nischinguen hat!‹ sagte der Baron bei sich selber, als seine Frau ihn allein gelassen hatte.
Aber je mehr der Baron die Feinheit des Rats, den die Baronin ihm gegeben hatte, bewunderte, um so weniger erriet er, wie er sich seiner bedienen sollte. Er fand sich nicht nur borniert, sondern er sagte es sich auch.
Obgleich die Borniertheit des Geldmannes fast sprichwörtlich geworden ist, ist sie nur relativ. Es geht mit den Fähigkeiten unseres Geistes wie mit den Begabungen unseres Körpers. Der Tänzer trägt seine ganze Kraft in den Füßen, der Schmied die seine in den Armen; der Athlet der Markthalle übt sich darin, Lasten zu tragen, der Sänger bearbeitet seinen Kehlkopf, und der Pianist stählt sein Handgelenk. Ein Bankier gewöhnt sich daran, Geschäfte auszutüfteln und zu studieren, die Interessen in Bewegung zu bringen, wie ein Schwankdichter sich darauf dressiert,
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