Glencoe - Historischer Roman
weil er wusste, dass er, schon wenn er die Wahrheit sagte, schwächelte. Bist du stumm wie Ben?, hatte Sarah gefragt.
Sandy Og musste lachen. Vielleicht half ja sein Lachen der Moral seiner Leute mehr, als wenn er unter Stottern Reden schwang. Er fürchtete sich, hätte gern weniger Zeit gehabt, sich zu fürchten, aber wer ritt, ohne zu reden, hatte endlosZeit. Zudem war in ihm ein unsägliches Durcheinander, sodass ihm mit jedem Schritt des Schecken etwas anderes durchs Hirn schoss. In einem Augenblick war er wütend auf Sarah und hätte sie gern angeschrien: Warum soll ich mich bessern? Warum bin ich nicht gut genug für dich? Ich bin Sandy Og MacDonald, Sohn des MacIain, ich führe meine Männer in die Schlacht. Mein kleiner Sohn ist stolz darauf, dass ich sein Vater bin. Ich tue, was alle Frauen wollen, dass ihre Männer es tun. Was also willst du mehr?
Im nächsten Augenblick aber spürte er, wie sich seine Schultern im Regen duckten, und dann wollte er zurück nach Glencoe rufen: Ich wünschte, ich wäre besser, Sarah. Ich wünschte, ich hätte dir alles gesagt und meinem Vater ins Gesicht geworfen: »Ich renne in keinen sicheren Tod, ich kann, was John kann, schon lange. Und mein liebstes Mädchen hat mein Kind im Bauch.« Ich will bei dir sein, Sarah, heute Nacht und an Beltane und wenn das Kind kommt. Ich will beten, dass es dir leichter wird als bei Duncan, dass du kein zweites Mal durch mich solche Qual erfährst. Ich will zu dir zurück, Sarah. Mich bessern. Dir genügen.
Und im nächsten Augenblick sah er seine Mutter, die ihm beteuerte, an der Schande sterben zu müssen, seine Schwester, die herumging wie die Tapferkeit auf Beinen, und seinen Vater, der sich abwenden und sich die Seele aus dem Leib spucken würde. Zuletzt sah er sein Kind, das neben seinem Freund gestanden und auf den Reiter unterm Fußvolk gezeigt hatte, die Stimme zitternd vor Stolz: »Das ist mein Vater.«
Ich kann nicht, Sarah. Wenn du einen Besseren willst, musst du dir einen Besseren suchen. Er schüttelte wild den Kopf, und die Angst ballte sich in seiner Brust zum Klumpen. Das Schnaufen, das er hörte – war es das des Schecken, war es seines oder das einer seiner Männer? Er blickte über die Schulter zurück, sah auf durchnässte Bonnets, schlaffe Heidezweige und in regennasse, verbissene Gesichter. Er wandte sich nach dem Pfeifer. »Mach eine Pause, Don. Jetzt wollen wir singen.«
»Du willst singen , Sandy Og?«, brüllte Rorie, der Bruder des Tacksman von Inverrigan. »Das kannst du doch gar nicht.«
Mit einem Schlag schien sich die Verbissenheit zu lösen. Hier und da flog Gelächter durch den Wind. »Das kommt auf einen Versuch an«, sagte Sandy Og. Er riss sich das Bonnet herunter, um den Kopf in den Nacken zu legen. So sah er in den weißen Himmel, ließ sich den Regen ins Gesicht prasseln und lauschte in sich hinein. Wir wollen nicht aus unserem Tal ziehen, wie wir nicht aus dem Leben in den Tod ziehen wollen. Wir klammern uns am Leben fest, weil wir denken: »Wie kann der Tod mit mir zu tun haben, wo doch alle meine Spuren hier im Leben sind?« Wie ärgerlich das ist! Wann immer ich sterben muss, bin ich beredt wie ein Marktweib, doch solange ich lebe, weiß ich kein Wort. Er wusste auch jetzt keines mehr, also machte er den Mund so weit auf, dass Regen hineinfiel, und begann die Worte aufzusagen, die er nicht singen konnte.
Am Loch Ness hatte er allen Grund, erleichtert zu sein: Kein unerfahrener Jungspund empfing ihn im Lager, sondern Cameron von Lochiel. Was der ihm allerdings zu sagen hatte, machte Sandy Og so wütend, dass er die hölzerne Schüssel, die er sich gerade hatte füllen wollen, gegen eine Felskante warf, heftig genug, dass sie zersplitterte. Anschließend, unter dem Blick des Alten, wollte er sich krümmen, so sehr schämte er sich. Er wandte sich ab, doch Lochiel rief ihn zurück. »He, he! Du bleibst besser hier, Freundchen. So schlimm ist es ja nicht, dass du ohne Essen ins Bett musst, und einen neuen Napf für dich werden wir schon finden.«
Abseits von den anderen setzten sie sich auf einen Stein. Sandy Og hatte Hunger, brachte aber vom geschmorten Wildfleisch nichts herunter. Er war wütend gewesen, weil Lochiel ihm mitgeteilt hatte, dass sie keineswegs bereitstehende Vorräte auf Packpferde laden würden, sondern vor dem Morgengrauen ein englisches Proviantschiff überfallen sollten, um welche zuergattern. »Und wenn wir scheitern?«, hatte er gebrüllt, »krepieren wir dann alle am
Weitere Kostenlose Bücher