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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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gern zum Freund.«
    Dann bräuchtest du keine Feinde mehr, dachte Sandy Og, aber er sagte nichts.
    Der junge Robert breitete auf einem Baumstumpf seinen Briefbogen aus, setzte in zärtlichen Schnörkeln seinen Namen ans Ende, küsste das Papier und blickte auf. »Sollen wir einander ein Versprechen geben? Wenn ich sterbe – willst du meiner Dolidh die Briefe bringen und ihr sagen, dass ich bis zum letzten Herzschlag an sie dachte? Wenn du es bist, der nicht heimkehrt, tue ich dasselbe für dich und bringe deine Briefe deiner Frau, die die stolzeste Frau von ganz Lochaber sein muss. Wie heißt sie denn, deine Liebste?«
    Sandy Og presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
    »Das hab ich mir schon gedacht«, gestand Robert traurig. »Ein Kerl wie du schreibt keine Briefe, der hat Besseres zu tun und seiner Frau was Besseres zu schicken. Reiche Beute von den Thronräubern oder gar gleich einen Verräterkopf. Das wäre wahrlich ein anderes Liebespfand als meine faden Tintenkleckse.«
    »Die Tintenkleckse riechen besser«, entgegnete Sandy Og und streifte flüchtig die Schulter des jungen Mannes. »Bei Totenköpfen nützt alles Parfümieren nichts, und deine Braut hat sicher eine zarte Nase.« Für die Seligkeit, mit der Robert Stewart ihn anstrahlte, hätte Sandy Og sich ohrfeigen wollen. Warum sagst du nicht deinem Waffenbruder, wer du wirklich bist? Tut dir das gut, dich in den Himmel heben zu lassen, den arglosen Burschen zu betrügen, wie du alle betrügst? »Hör zu, Robert«, sagte er dann, »wenn heute Abend der Späher zurückkommt, löse ich ihn ab.«
    »Aber ich habe schon einen meiner Leute bestimmt«, begehrte Robert auf. »Ich werde doch den besten Mann, auf den mein König zählen kann, nicht in Gefahr bringen, indem ich ihn auf Spähdienst schicke.«
    »Du hast gesagt, ich kann alles nach meinem Gutdünken tun«, verwies ihn Sandy Og barsch. »Und genau das habe ich vor.«
    Der Späherwechsel fand statt, als es dämmerte. Sandy Og schlug sich ein Stück weit durchs Dickicht, bis der Wald sich in Ufernähe so lichtete, dass ein Mann, wenn er aufrecht ging, zwischen den schützenden Stämmen leicht entdeckt werden konnte. Dort kroch er ins Buschwerk, legte sich auf den Bauch und robbte auf Armen und Knien mühsam voran.
    Willst du sterben? , fragte er sich, während ihm kleine Zweige ins Gesicht schnellten und seine tastenden Hände in Dornen griffen. Reißt du dich deshalb um diesen Späherposten? War es nicht feige genug, vor deiner Frau zu fliehen? Willst du aus der Welt, um deiner Strafe zu entgehen? Selbsthass überkam ihn. Seine Fäuste trommelten auf den Boden, dann fuhren sie in sein Haar, zerrten sein Gesicht ins Gestrüpp und hieben es auf und ab, bis ihm die Kraft ausging und er flach auf der Erde liegen blieb.
    Auf den Lippen schmeckte er Blut. Als er auf den Wangen Nässe spürte, wischte er sie weg und betrachtete seinen Handrücken: kein Blut, nur eine feuchte Spur. Er war ein Kerl von mehr als dreißig Jahren, ein Feigling, der sich lieber von seiner Schwester wie von einer Hure küssen ließ, als seiner Frau als Versager ins Gesicht zu blicken. Ein Verräter war er. Und jetzt lag er bäuchlings auf einem Teppich aus Fichtennadeln und weinte wie ein Kind.
    Das Weinen half. Als er irgendwann wieder Luft bekam, robbte er weiter. Nein, er wollte nicht sterben. Allein sein wollte er und den Boden spüren, der um diese Tageszeit rasch erkaltete und sich in Nebel hüllte. Er wollte frieren, sich fürchten, sichdie Haut aufschürfen und Schmerz empfinden, um die dumpfe Stille in seinem Innern mit Lärm und Bewegung zu füllen. Er lauschte auf die Geräusche über der Erde, den Wind in Gras und Farnen, das Rascheln und Zirpen von Getier, und besann sich auf etwas, das er einmal Ceana gesagt hatte: Das Leben nicht auszuhalten, sich selbst nicht auszuhalten, ist nicht dasselbe wie sterben zu wollen.
    Schnell verschlechterte sich die Sicht, aber die Sternennacht wurde nicht so schwarz, dass Sandy Og sie fürchtete. Ein Späher, der auf Deckung bedacht sein musste, verließ sich ohnehin besser auf seine Ohren als auf seine Augen, und das unverkennbare Murmeln verriet die Nähe des Wassers. Alle paar Herzschläge hielt er inne, um zu lauschen. Es war bemerkenswert, dass man die Laute, die Menschen verursachten, von allen anderen unterscheiden konnte, selbst wenn man sie nicht zu benennen wusste und nur vage erahnte, aus welcher Richtung sie kamen.
    Die Feuchtigkeit des Nebels bildete

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