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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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herauspressen? Unwillkürlich fuhren Sarahs Hände an ihr Gesicht. Sie war seit Tagen unterwegs, halb verhungert und verdreckt, doch die Haut ihrer Wangen war weich. Ich hatte ein gutes Leben. Trotz allem war es gut.
    Die Frau blieb stehen und musste den Henkel des Korbs mit beiden Händen umfassen, um ihn nicht fallen zu lassen. »Bei Gott, die Sarah! Der Ginsterzweig.«
    »Tante Helen.«
    »Dein Onkel ist nicht hier!«, rief sie, stellte den Korb ab und hob die Hände. »Er kommt auch nicht. Auf der Schwarzen Garnison steht er. Und von dem Almosen, das der nach Hause schickt, schlagen wir uns gerade eben durch.«
    Du willst mich nicht. Du hast mich auch damals nicht gewollt, und ich kann’s dir nicht länger verübeln. Wie soll einer einem andern geben wollen, wenn ihm selbst niemand etwas gibt? Dreinschicken musste die Tante sich dennoch. Über Jeans Köpfchen hinweg langte Sarah in ihr zerrissenes Hemd.
    »Wo ist denn dein Mann? Euch soll’s doch gut gehen, hört man.«
    Sarah ließ die Frage ohne Antwort und förderte den Brief zutage, den zerknitterten, verschmutzten Bogen, der ihr den Rest ihres Lebens sicherte. »Mein Onkel hat mir geschrieben, in seinem Haus sei Platz für mich«, sagte sie und straffte den Rücken. »Wenn Ihr mich also einlassen wollt? Meine Tochter und ich sind sehr müde, und so leid es mir tut, zu essen brauchen wir auch.«

    Die beiden Reiter ließen ihre Gäule in den Hof der Garnison galoppieren, sodass Rob der Schädel schepperte. Der minderwertige Branntwein, den Argyll gebracht hatte, war seinem Kopf offenbar nicht bekommen. Ein Blick auf den Nachtkasten verriet ihm, dass er die Flasche geleert hatte, obwohl er nach Argylls Aufbruch nur noch einen Becher hatte trinken wollen. Was war ihm anderes übrig geblieben? Das Leben war eine Qual. Selbst Argyll sah ein, dass Branntwein nötig war, um sie Tag für Tag zu ertragen.
    Argyll hatte der Garnison schon lange keinen Besuch mehr abgestattet und hatte sich verändert. Gewiss, er war zornig gewesen, als er von dem Überfall auf das Transportschiff hörte, und Robs Versicherung, man habe sofort ein Bataillon losgeschickt, um die Vertragsbrüchigen dingfest zu machen, hatte ihn nicht überzeugt. Dennoch schien er weicher, geradezu abwesend, war nicht mehr eifernd und geifernd von seinen Plänen für das Hochland besessen. Argyll war jetzt meist in Stirling, um seine Kompanien zu beaufsichtigen, und dort sollte er sich eine neue Geliebte halten, eine Lebedame namens Peggy Alison. Den Abstecher nach Lochaber hatte er angeblich unternommen, um das Fort zu inspizieren und zu ergründen, warum es unter den Männern so viele Seuchentote gab.
    Gestern Abend hatte er Rob über den Tisch einen Satz Holzkisten zugeschoben. »Hier, übergebt das dem Arzt des Lazaretts: Vitriol, Kamille, Lakritz, Kampfer, Sassafras, Schlangenwurz und Rhabarberöl, alles aus Glasgow heraufgebracht und aus meiner eigenen Tasche bezahlt. Damit sollten diese unerquicklichen Todesfälle aus der Welt sein; wir können uns keine derartige Dezimierung leisten.«
    »Wir haben ein Lazarett«, stotterte Rob. »Aber keinen Arzt.«
    Argyll überlegte kurz, dann klopfte er auf die Kisten. »Ganz recht, wozu braucht’s auch einen? Um diese Mittel zu verabreichen, bedarf es schließlich keines gelehrten Studiums. Undhier habe ich sogar noch einen Tropfen Medizin für Euch. Ich weiß nämlich, dass Ihr ihn nötig habt, mein Freund. Bitter nötig.« Leise lachte er auf und reichte Rob die Flasche mit dem Branntwein.
    Vor Verlegenheit vergaß Rob, sich zu bedanken, und begann stattdessen noch einmal mit dem Überfall am Loch Linnhe: »Was nun diesen Bruch des Vertrags betrifft, der von Männern aus Lochaber begangen wurde, so versichere ich Euch …«
    Mit einem Wink brachte Argyll ihn zum Schweigen. »Lasst gut sein, Rob. Um die Wahrheit zu sagen: Mir kommt dieser alberne Überfall nicht ungelegen. Durch ihn mag sich nämlich herausstellen, dass der sogenannte ›Vertrag‹ das Papier nicht wert ist, auf das er geschmiert wurde. Das wisst Ihr so gut wie ich, nicht wahr?«
    »Aber warum? Hat nicht mein Vetter Breadalbane vor, nach Ablauf des Waffenstillstands ein Abkommen zu dauerhaftem Frieden aufzusetzen?« Sosehr Rob dem Vetter den Erfolg missgönnte, so sehr erleichterte es ihn, dass ihm die letzte Schande erspart blieb, jener tiefste Fall, den er nicht einmal zu benennen wagte.
    »Euer Vetter Breadalbane, so so.« Argyll lehnte sich im Sessel zurück. »Sagt bloß, Euch

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