Glencoe - Historischer Roman
breitbeinig, mit auf Bullenart gesenktem Kopf dagestanden, sodass kein Stock und kein Haferkuchen ihn von der Stelle brachten. Der andere Schmerz, den er geschworen hatte auszuhalten, drückte dem MacIain die Kehle zu. Rasch hob er die Hand und holte aus. »Sprichst du wohl?«
Jemand hielt ihm den Arm fest. »Nicht.« Das war John. »Ich hab gewollt, dass er mich angreift, damit ich’s ihm endlich heimzahlen kann, also hab ich was über Sarah gesagt. Etwas, das man nicht sagt.«
Sandy Og starrte weiter zu Boden.
In Gedanken flüsterte der MacIain ihm etwas zu, von dem er sicher war, er hätte es nicht aussprechen können oder wäre wie ein Waschweib in Tränen ausgebrochen. Er schwang herum und sah John an. Der Kraftprotz, dem man den ganzen Winter über angemerkt hatte, wie sehr die Wut ihn zerfraß, schien gänzlich verstört. »Los, mitkommen«, sagte der MacIain zu beiden und klopfte John die Schulter. Dann drehte er sich um und ging voran.
Sie stapften weit durch die sumpfigen Wiesen. Dort, wo er seine Söhne hinführte, war kein Mensch, denn es hatte seit mehr als vierzig Jahren niemand Grund, dorthin zu gehen. Frauen brachten ab und an Kinder her, um sie zu lehren, was es mit dem Bauwerk auf sich hatte, mit dem Calp, dem Schwur, der an dieser Stelle zuerst vom frisch ernannten Chief und dann von den Clansmen, seinen Kindern, geleistet wurde. Der Schwur hielt das Volk im Tal seit zwölf Generationen zusammen. Er war stärker als mit eisernen Klammern:
»Ich, der MacIain von Glencoe, will euch mit meinem Leben schützen, will tun, was Wissen und Gewissen mir gebieten, um Gefahr von euch zu wenden.«
»Wir, die Clansmen von Glencoe, geben dir, dem MacIain, dafür, dass du uns führst und schützt, von jeder Zwillingsgeburt ein Halbes, und unser bestes Stück Vieh nach unserem Tod.«
Dorthin führte der MacIain seine Söhne, vor den steinernen Cairn von Glencoe, auf den er als Jüngling geklettert war, um den Schwur zu leisten. Die zwei hielten im Trott zwei Schritt Abstand voneinander. Wisst ihr Dummköpfe eigentlich, was ein Bruder wert ist? Ah bah, das weiß einer erst, wenn er keinen Bruder mehr hat.
Der MacIain drehte sich um und hieß sie mit strengem Blick stehen zu bleiben, vor ihm aufgereiht wie zur Abstrafung. Dann griff er nach hinten und berührte den Stein des Cairn. Was er ihnen zu sagen hatte, war schwieriger, als sie zu strafen. »Das hier zählt«, begann er. »Alles andere kann fallen, aber das hier hält uns fest, versteht ihr? Während ihr euch die närrischen Schädel einschlagt, steigen Männer in Stürmen durchs Gebirge, um Proviant und Waffen herzuschaffen, weil sie ihrem König einen Eid geschworen haben.«
Er sah ein Leuchten über Johns schönes, schmutziges Gesicht gleiten und schüttelte den Kopf. »Oh nein, John MacDonald! Auch jetzt braucht dich Jamie Stuart nicht heldenhaft in Waffen und schon gar nicht verreckt im Schlamm. Er braucht dich hier und am Leben, damit unser Volk sicher sein kann: Dieser John wird eines Tages auf den Cairn steigen, das Schwert seines Vaters nehmen und schwören, uns zu schützen. Dieser John, der sich mit der goldigen Eiblin ins Bett legt und ihr ein Nest voller Söhne wie fette Wachtelhühner macht.«
»Aber …«, begehrte John auf, doch der MacIain unterbrach ihn: »Schweig gefälligst still, wenn dein Vater mit dir redet! Wer glaubst du, wer du bist? Das einzige leidende Würstchen auf der Welt, der Einzige, der seine Pflicht tun muss, auch wenn sie nicht so würzig schmeckt wie ein von Ranald besungener Tod? Damit du’s weißt: Dein Vater bleibt auch hier und schämt sich dessen nicht. Er tut’s, damit seine Schar, die sich gerade erst erholt, nicht schon wieder in Aufruhr gerät, und damit Ranald und Big, die alt und krank und starr vor Trauer sind, nicht noch einmal hinausmüssen. Und damit ich ein Auge auf meinen törichten Sohn haben kann. Sind das gute Gründe genug?«
»Wer führt die Männer aus Glencoe?«, presste John heraus.
»Sandy Og«, erwiderte der MacIain. »Nein, schlag nicht auf ihn los, ehe du dir erlaubt hast, deinen Kopf zum Denken zu gebrauchen!« Der MacIain fasste seinen Letztgeborenen ins Auge und beschwor ihn mit allem, was er aufbringen konnte, aber Sandy Ogs Augen waren so nachtschwarz, dass er unmöglich darin lesen konnte, was der Bursche dachte.
Sandy Og zuckte mit den Schultern und wandte sein Gesicht dem Bruder zu. »Ich habe weder deinen Mut noch deine Tapferkeit, John«, sagte er. »Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher