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Gloriana

Gloriana

Titel: Gloriana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Sachen des Sarazenen und wird ohne Zweifel schon versucht haben, einen Ring zu verpfänden oder den juwelenbesetzten Dolch.«
    »Wenn sie ihn fangen, wird er uns natürlich verraten.« Quire rieb sich das Kinn. »Etwas anderes erwarte ich nicht. Aber ohne unsere Papiere haben wir kein Alibi.«
    »Bale hier würde für uns aussagen. Oder Uttley vom Walroß.«
    »Beides taugt nicht. Wer würde denen glauben? Wir brauchen die mächtige Unterschrift unseres Gönners. Will er sie unter keinen Umständen geben, Tink?«
    »Er ist zornig. Er sagt, du sollst dich der Wache stellen. Dich dann Sir Christopher Martins Verhör unterziehen. Du sollst dich auf einen Anschlag gegen dich herausreden, einen Überfall. Jemand wollte dich berauben, dir Hut und Umhang stehlen und so weiter.«
    »Und dann wird man mich in Ketten fortschaffen oder in den Kerker werfen.«
    »Nein. Wenn du nicht zögerst, dies zu tun, wird unser Freund Sir Christopher Beweismittel zustellen, die bezeugen werden, daß du in Geschäften der Königin anderswo warst. Damit wirst du frei sein. Aber er sagt, du mußt ohne Verzug handeln, weil du gebraucht wirst – ein dringender Auftrag. Du mußt sauber sein, bevor du an diese Sache herangehst, oder seine Pläne werden zunichte. Verstehst du?«
    »Freilich, aber er könnte, um seine Pläne zu retten, mich zunichte machen.«
    »Warum mußt du es so verwickelt sehen?«
    »Er weiß, daß ich mißtrauisch bin und nicht leicht umzubringen. Vielleicht möchte er mich mit solcher Hinterlist außer Landes treiben … Aber danach riecht die Sache nicht. Jede Spinne spinnt ihr eigenes Netz, und nach einer Weile kann man sie an ihrer Arbeit erkennen.«
    »Dann willst du dich Sir Christophers Leuten stellen?«
    »Mir bleibt schwerlich eine andere Wahl, Tinkler. Gleichviel, mich verdrießt die Zeit, die es erfordern wird, um so mehr, wenn es dringende Geschäfte zu erledigen gibt. Wann soll ich schlafen?«
    Tinkler, der einen ledernen Becher an die schiefen Lippen gesetzt hatte, blickte erstaunt, als habe er sich seinen Meister niemals anders als immerfort wachend vorgestellt.

    DAS VIERTE KAPITEL

    In welchem der Magier und Zeichendeuter Dr. John Dee
die Natur der Welt erwägt

    Kaltes Licht, durch hohe Fenster in dem Kuppeldach einfallend, tauchte den Audienzsaal in lichte Helligkeit. Jedes Fenster glich einem Kaleidoskop von farbigem Glas mit abstrakten Mustern von der komplizierten Geometrie der Schneeflocken. Nirgendwo in dem großen Rund des Saales gab es Schatten, außer hinter dem Thron, wo Vorhänge die Tür verbargen, durch die Gloriana bei festlichen Anlässen den Saal betrat. Die Tür führte zu einem ihrer kleineren Salons. Die Wände des Audienzsaales waren in Weiß und Silber gehalten und trugen allegorische Darstellungen und Schäferszenen in heller Freskomalerei. Ein großes Deckenfresko mit Scheinarchitektur und einer Allegorie Albions und aller Weltgegenden war perspektivisch so raffiniert, daß es den Raum bedeutend überhöht erscheinen ließ und sogar den Eindruck erweckte, er öffne sich in der Höhe. Sechs Türen gaben dem Audienzsaal ein sechseckiges Aussehen, und auch diese Türen waren von gerafften Vorhängen blaßgrüner Farbe flankiert. Beiderseits des Haupteinganges gegenüber vom Thron standen Soldaten der Palastwache auf ihre Piken gestützt. Sie nahmen Haltung an, als der ehrwürdige, weißbärtige Dr. John Dee im Talar des Gelehrten den Eingang durchschritt, zusammengerollte astrologische Karten unter dem Arm, eine Brille gleichsam als Zeichen seines Amtes auf der Nase, die Schultern wie vom Wissen gebeugt, doch beinahe von der Größe der Königin selbst. Die Königin hatte sich bereits auf dem Thron aus Gold und Marmor niedergelassen, wo sie später den angemeldeten Besuchern eine Audienz gewähren sollte. Das reine, von oben herabdrin gende Licht gab ihrem Gesicht eine weiche, vorteilhafte, jugendliche Ausstrahlung, wozu der große gesteifte Kragen und ihr juwelenbesetztes Gewand aus goldfarbenem Samt ihren Teil beitrugen. »Ihr habt Eure Diagramme mitgebracht, Dr. Dee?«
    Er zog sie unter dem Arm hervor und hob sie ihr entgegen.
    Lord Montfallcon rieb sich die Nase und blickte unruhig von der Königin zum Hofastrologen und zurück. Wie die meisten seiner aufgeklärteren Zeitgenossen betrachtete er Dee als einen Scharlatan – wenn auch einen solchen, mit dem es nicht recht geheuer war – und seine Ernennung zum Hofastrologen und Berater in philosophischen Fragen als Weibertorheit. Da er

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