Glutnester
genüssliche Episode, nicht als Beschwernis seines Lebens. Doch jetzt musste sie in Deckung gehen vor einem schmalen Spalt Leben, den er mit Worten der Bindung verunreinigen wollte.
»Sorry! Wir haben noch nichts entdeckt, liebste Elsa«, entgegnet Ben mit überzogen freundlicher Stimme. »Vermutlich handelt es sich ohnehin nur um einen dämlichen Scherz. Vielleicht irgendwelche Jugendlichen aus der Nachbarschaft. Du weißt doch, die Ungeduld in der Kommunikation bei Kids nimmt stetig zu. Heute wird fast nur noch übers Netz gesprochen. Da steigt die Sucht nach echten Kontakten. Nach richtigem Leben. Klappe halten ist verdammt schwer.«
»Klar, das Interessensspektrum der Jungen verengt sich immer mehr. Nur, was hab ich damit zu tun?« Elsa hat keine Ahnung, worauf Ben hinaus will. Zumindest keine plausible Idee.
»Ganz einfach«, redet er weiter. »Du bist neu in der Gegend. Irgendetwas bezüglich unseres Falls wird an die Öffentlichkeit gedrungen sein, und auf diesen Slip-Zug springt leicht jemand auf. Blitzschnell ist wieder Emotionalität angesagt. Echte nämlich. Du hast Angst und der Typ stellt sich’s vor. So was in der Art könnte dahinterstecken.«
»Ziemlich krude Theorie. Hoffen wir mal, dass du damit recht hast«, erwidert Elsa. »Dann wäre ich nämlich aus dem Schneider und könnte das mulmige Gefühl in mir endlich abstellen.«
Nach einer kurzen Verabschiedung drückt Elsa die Aus-Taste. Allein in einem verwaisten Büro und froh, Ben für den Moment losgeworden zu sein. Schweigend grübelt sie vor sich hin. Vielleicht ist Bens Idee gar nicht so abwegig, räumt Elsa ein. Als nächster Gedanke kommt ihr Marissa Kratzer in den Sinn. Das Gespräch hat Elsa deutlich gemacht, dass Marissa es faustdick hinter den Ohren hatte. Frühreif ist sie. Eindeutig. Und clever dazu. Außerdem wortgewandt. Was, wenn sie ihr den Slip, nachdem sie Elsas Initialen auf den Stoff geschrieben hatte, einfach so vor die Tür gelegt hatte? Der Kratzer-Tochter traut sie einen derartigen Scherz zu. Und wenn schon dieser eine Slip seinen Platz gefunden hatte, es sprach nichts gegen einen zweiten. Konnte durchaus sein, dass Marissa für beide Slips zuständig war, für den, auf den Luise geschrieben worden war und der, von Marquartstein aus, per Post an Michael Horn nach München gegangen war, und den zweiten, der vor ihrer Tür für Angst und Schrecken gesorgt hatte. »Zwei Slips kleiner Größe«, murmelt Elsa sinnierend vor sich hin. Sie nimmt sich vor, demnächst Marissas Unterwäsche zu kontrollieren. Kaum zu Ende gedacht, dreht sie sich – in ihrem Bürostuhl – einmal um die eigene Achse. Dann fällt ihr ein, dass sie versprochen hat, gegen Nachmittag Anna anzurufen, um zu besprechen, was es am Abend zu essen geben sollte. Elsa greift nach ihrem Handy und ruft Annas Nummer auf. »Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Versuchen Sie es später noch einmal«, hört Elsa die Stimme einer Frau, die sie nicht kennenlernen will. Ein Timbre, das, bei aller Freundlichkeit, trotzdem unnahbar klingt. Gänzlich ohne Kontur stellt Elsa sich den Körper dieser Person vor. Sie weiß nicht, weshalb, aber eine undefinierbare Angst kriecht von den Füßen weg an ihr hoch. Das Leben findet nicht in Ermangelung des Glücks in Unfrieden statt, denkt sie plötzlich. Wenn das Glück fehlte, konnte man durchaus ruhig schlafen. Erst wenn das fordernde Unglück anklopfte, laut ans ruhige Herz pochte, war es aus mit dem Frieden. Elsa spürt, dass etwas, dem sie keine Form zusprechen kann, im Anmarsch ist. Etwas Dubioses, Nebelhaftes. Ein Gefühl, das sie kräftemäßig nicht schafft. Sie fühlt sich augenblicklich schlaff, völlig erschöpft und ohne Energie. Dieser Gedanke ist es, der Elsas Hirn, ihr Fleisch, ihre Knorpel, alle Sehnen und Knochen, alles in und an ihr wund scheuert.
15. Kapitel
Gerd Speckbacher hat den Schlüssel in einem gepolsterten Umschlag zugeschickt bekommen. Ohne beiliegenden Brief. Lediglich dort, wo gewöhnlich der Absender notiert ist, kann er etwas ablesen: Schlüssel – Luise Gasteigers Schlafzimmer. Keine Handschrift. Sondern schwarze, ausgeschnittene Druckbuchstaben.
»Na servus!«, murmelt Speckbacher vor sich hin und fährt sich dabei mit der Hand durchs rötliche Haar. Eine ganze Weile, nachdem er den Brief geöffnet und den Schlüssel vorgefunden hat, grübelt er. Er weiß, dass er sich umgehend bei Elsa Wegener oder Dr. Degenwald von der Mordkommission Traunstein melden müsste. Die
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