Gnade
und ich sind immerhin auf dich und John angewiesen.«
»Preston hat Recht«, schaltete sich John ein. Er rührte mit einem Stäbchen in seinem bernsteinfarbenen Cocktail. »Du siehst wirklich schlecht aus.«
»Mir geht’s prächtig«, knurrte Cameron. »Und jetzt haben wir genug über mich geredet.« Er schüttete hastig seinen Drink hinunter und bedeutete dem Kellner, ihm einen neuen zu bringen. »Gab’s irgendetwas Neues in dieser Woche?«, fragte er.
»Bei mir war’s total langweilig.« Preston zuckte mit den Schultern. »Aber ich schätze, in unserem Geschäft ist das ein gutes Zeichen. Stimmt’s, Dallas?«
»Richtig. Bei mir war auch nichts los.«
»Und was ist mit dir, John? Gibt’s bei dir Neuigkeiten?«, erkundigte sich Cameron betont freundlich.
John schüttelte den Kopf. »Ich hänge in den Seilen und bringe mühsam einen Tag nach dem anderen hinter mich.«
Er klang erbärmlich. Cameron fand Johns Performance ein bisschen übertrieben, aber Preston und Dallas kauften ihm natürlich alles ab und waren voll des Mitleids.
»Es wird auch wieder besser«, beteuerte Preston. Da er noch nie einen Nahestehenden verloren hatte, konnte er gar nicht wissen, ob Johns Leben irgendwann erträglicher wurde oder nicht. Doch er hatte das Gefühl, seinem Freund Mut machen zu müssen. »Mit der Zeit«, fügte er lahm hinzu.
»Das stimmt. Du brauchst nur ein bisschen Zeit«, bekräftigte Dallas.
»Wie lange ist es jetzt her, seit Catherine gestorben ist?«, fragte Cameron.
John zog eine Augenbraue hoch. »Du weißt doch genau, wann sie gestorben ist!« Er erhob sich und zog sein Jackett aus, er faltete es gewissenhaft zusammen und hängte es über die Stuhllehne. »Ich hole uns ein paar Nüsse.«
»Gute Idee! Bring auch ein paar Brezeln mit«, bat Preston. Er wartete, bis John außer Hörweite war, dann wandte er sich vorwurfsvoll an Cameron. »Musstest du Catherines Namen erwähnen?«
John teilte der Serviererin seine Bestellung mit und kam in dem Moment zum Tisch zurück, als Dallas sagte: »John fing gerade an, etwas lockerer zu werden. Gönn dem Jungen doch ein bisschen Ruhe!«
»Ihr braucht mich nicht zu verhätscheln«, versetzte John, zog seinen Stuhl zurück und nahm wieder Platz. »Ich habe die Stunden und Minuten jedenfalls nicht gezählt, seit meine Frau nicht mehr lebt«, sagte er. »An manchen Abenden kommt es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen.«
»Es ist schon fast einen Monat her.« Cameron musterte seinen Freund aufmerksam, dann nahm er sein Glas und prostete ihm zu. »Ich finde, du solltest anfangen, dich mal wieder mit anderen Frauen zu verabreden. Ehrlich!«
»Bist du verrückt?«, flüsterte Dallas. »Das ist viel zu früh!«
Preston nickte energisch. »Die Leute fangen an zu tratschen, wenn er sich so bald schon nach einer Neuen umsieht. Und das wollen wir ja wohl auf keinen Fall. Das denkst du doch auch, oder, Dallas?«
»Zum Teufel, ja! Ich kann nicht glauben, dass du allen Ernstes einen solchen Vorschlag machst, Cam.«
John lehnte sich zurück. Seine Schultern hingen nach unten, und sein Gesichtsausdruck war gequält. »Ich könnte das nicht, zumindest jetzt noch nicht. Vielleicht auch nie mehr. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, mit einer anderen Frau zusammen zu sein. Ich habe Catherine geliebt, und der Gedanke, sie durch eine andere zu ersetzen, bereitet mir geradezu Übelkeit. Ihr wisst doch, was ich für meine Frau empfunden habe!«
Cameron verschränkte die Hände fest in seinem Schoß, um sich zurückzuhalten, obwohl er dem elenden Lügner am liebsten an die Kehle gegangen wäre.
»Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Das war gefühllos von mir.« Er öffnete den Aktenkoffer, der neben seinem Stuhl stand, und nahm einen dicken Ordner heraus. Dann schob er sein Glas beiseite und legte den Ordner auf den Tisch.
»Was ist das?«, wollte Dallas wissen.
»Eine Investitionsmöglichkeit?«, mutmaßte Preston.
Während Cameron die Bombe platzen ließ, sah er John unverwandt an. »Eine Menge Notizen und Zahlen«, sagte er. »Und …«
»Und was?«, hakte John nach.
»Catherines Krankenakte.«
John hatte die Hand bereits nach dem Ordner ausgestreckt. Doch als Cameron erklärte, was er enthielt, zog er sie wie von der Tarantel gestochen zurück. Er sprang auf. Der Schock wich rasch nackter Wut. »Was zum Teufel machst du mit den medizinischen Unterlagen meiner Frau?«, herrschte er Cameron an.
Johns Gesicht war so rot angelaufen, als würde er jeden Moment einen
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