Götterschild
Schwarzlanzer reagieren konnten. Das mochte nicht besonders ehrenhaft sein, aber was würde der arrogante Inselherr für Augen machen, wenn Targ Soldarin, den er in einem modrigen Keller in Seewaith eingesperrt wähnte, hier aus dem Nichts auftauchte, um die Blutschuld für seine beiden Brüder einzufordern.
Freilich würde Targ diesen Angriff genauso wenig überleben, aber das musste er in Kauf nehmen. Und Rai, Selira und Belena lieferte er dann ebenfalls ans Messer, denn sie ahnten nicht, dass sich die Truppen Ho’Nebs näherten. Außerdem überließ er die möglichen Gefangenen, die Megas in seinem Tross mitführte, einfach ihrem Schicksal. Er fluchte leise. Wie kam es, dass, wann immer er mit Megas zusammentraf, sich dieser stets in einer günstigeren Position befand als er selbst? Targ war bereit, sein Leben für seine Rache zu opfern, aber in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er nicht das Recht hatte, über das Leben seiner Gefährten zu entscheiden.
Er drehte sich um und begann, geduckt im Schatten der Bergflanke zur Festung zurückzueilen.
»Megas kommt mit seinen Schwarzlanzern hierher!«, rief er, kaum dass er das Lager erreicht hatte. »Wir müssen schnellstens weg.«
Selira fuhr erschrocken hoch und deutete auf den am Boden liegenden Rai. »Wie soll das gehen, wenn wir die Trage hinter uns herziehen?«
Auch Rai hob nun seinen Kopf von der Satteltasche, auf der er geruht hatte, und blickte Targ mit verkniffenem und immer noch kalkweißem Gesicht entgegen. »Ich glaube nicht, dass ich mich im Sattel halten kann«, erklärte er niedergeschlagen, »und schon gar nicht bei einer schnellen Flucht.«
»Davon hat ja auch keiner etwas gesagt«, erwiderte Targ kurz angebunden, während er die Pferde am Halfter packte und sie im Laufschritt in Richtung Festungstor führte.
»Was hast du vor?« Selira hastete ihm nach.
»Wir müssen die Pferde loswerden und uns dann irgendwo dort hinten in dem Geröllfeld verstecken«, erklärte Targ und hieb den Tieren nacheinander so kräftig aufs Hinterteil, dass alle drei wiehernd in die Richtung losgaloppierten, aus der sie heute Mittag gekommen waren.
»Verstecken?«, wiederholte Selira bestürzt.
»Es gibt keine andere Möglichkeit«, beharrte Targ und machte sich wieder auf den Rückweg zu ihrem Lager. »Egal, wie wir es anstellen, mit Rai sind wir bei einer Flucht zu langsam und zu auffällig. Megas braucht uns nur einen Reitertrupp nachzuschicken und schon sind wir geliefert. Also bleiben wir hier und warten ab, bis sie weiterziehen.«
Für einen kurzen Moment beäugte Selira den Ecorimkämpfer kritisch, als sei sie sich nicht im Klaren, ob sie seinen Motiven trauen konnte. Doch dann half sie Targ dabei, Rai behutsam auf die Trage zu legen und ihre Habseligkeiten zusammenzuklauben.
Belena bot sich schweigend an, das Gepäck zu schultern, während Selira und Targ die Trage nahmen und sich dann, so rasch es ging, entlang der Außenseite der Palisaden zu der tiefer in die Bergflanke eingeschnittenen Kluft bewegten. Schon kurz hinter der Festung wurde der Boden sehr uneben und begann, immer steiler anzusteigen. Zudem verjüngte sich der Einschnitt zunehmend, was das Vorankommen mit der Bahre zu einem äußerst mühevollen Unterfangen machte. Da die Zeit drängte, verschanzten sie sich schließlich hinter dem erstbesten Felsen, der sie einigermaßen vor den Blicken von der Festung und vom Strand her beschirmte.
Sie hatten sich kaum in ihrem ungemütlichen Versteck eingerichtet, als auch schon die ersten Reihen Schwarzlanzer, angeführt von Megas Arud’Adakin auf einem Istanoit-Rappen, vor der Festung Königswacht aufmarschierten. Es wurde rasch klar, dass sie die verlassene Anlage zu ihrem Nachtquartier ausersehen hatten, denn sie hielten direkt auf den Eingang zu. Vom Rande des Felsens aus, der Targ und seinen Gefährten als Deckung diente, hatten sie einen guten Blick auf die gesamte Festungsanlage. So entging Targ auch nicht, dass die Männer, besonders diejenigen, welche zu Fuß unterwegs waren, ziemlich erschöpft wirkten, so als hätten sie einen äußerst harten Tagesmarsch hinter sich. Viele trugen Binden um Arme, Beine oder Kopf, was eindeutig für eine erst jüngst geschlagene Schlacht sprach. Also waren sie bereits auf die Istanoit getroffen. Targ schluckte. Aber mit welchem Ergebnis?, fragte er sich nervös.
Als schließlich der lange Tross, der den Schwarzlanzern nachfolgte, in seinem Blickfeld auftauchte, wurde Targ diese Frage aufs
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