Götterschild
nicht zu verlieren, dann gab er Befehl zum Abmarsch. Die Karawane bestand aus sechs Lastschweinen, hauptsächlich bepackt mit bedenklich schwankenden Türmen aus aufgerollten Seidenbahnen, sowie den sechs Sklaven. Rai und Selira hatten dafür Sorge zu tragen, dass das gewichtige Borstenvieh nicht vom Weg abwich und keinen Schaden anrichtete. Sal Oibrin führte den Zug auf einem kleinen, sehnigen Rappen an, während hoch über ihren Köpfen die geflügelte Wölfin Resa ihre Kreise zog.
Ohne dass sie ein Tor passiert hätten oder eine sonstige Stadtbegrenzung, lag plötzlich das letzte Haus hinter ihnen und Rai erblickte das erste Mal die Weite der etecrischen Wüste. Allerdings wirkte die Landschaft lange nicht so karg, wie er es sich vorgestellt hatte. Das lag hauptsächlich daran, dass die Stadt Kersilon im Osten und Westen von dichtem Sumpfwald eingefasst wurde, den sie bereits bei ihrer ersten Annäherung an die Küste Etecrars zu Gesicht bekommen hatten. Hier wucherte er zwar nicht mehr ganz so üppig und bedeckte nur noch einen schmalen Küstenstreifen, aber dennoch wirkte dieses grüne Band als ein wohltuender Kontrast zu dem braungelben Meer aus Steinen und Sand, das sich vor den Toren der Stadt nach Süden erstreckte. Doch auch dort gab es, kleinen Inseln gleich, einzelne Gruppen von dicklaubigen Bäumen, die der Hitze und dem Wassermangel zu trotzen vermochten. Weiter im Südosten ließ sich auch eine größere Hügelkette ausmachen, die das sonst so ebenmäßige Land in tiefe Falten legte.
Die Karawane folgte einer kaum erkennbaren Strecke nach Osten. Bei jedem Schritt bohrten sich kleine nadelspitze Steine durch Rais ausgetretene Schuhsohlen. Erschwerend kamen noch die unvorhersehbaren Kopfbewegungen des Packschweins hinzu, das er am Zügel führen musste. Jedes Mal, wenn das eigenwillige Tier seinen mächtigen Schädel in eine andere Richtung warf, stolperte Rai wie ein Fohlen am Halfter hinterdrein. Er begann sich zu fragen, was wohl geschehen würde, wenn das mächtige Schwein sich plötzlich entschließen würde, einen anderen Weg zu nehmen. Er bezweifelte ernsthaft, dass er in der Lage war, das Tier in irgendeine andere Richtung zu lenken, als es zu gehen wünschte.
Obwohl er schon während der ersten Stunden mit den Unannehmlichkeiten der Reise zu kämpfen hatte, blieb doch ein wenig Gelegenheit, sich die anderen Sklaven in der Karawane genauer anzuschauen. Es gab drei Männer und eine Frau, die allesamt sehr routiniert bei der Erfüllung ihrer Aufgabe wirkten. Sie hielten die Packtiere weitaus besser unter Kontrolle als Rai. Zwei der Männer und die Frau hatten ähnlich helle Augen und Haare wie Sal Oibrin und stammten demnach wohl ebenfalls aus Kersilon. Einer der Männer war allerdings von deutlich kleinerer Statur und seine Augen sahen beinahe schwarz aus, sodass sein Äußeres Rai unwillkürlich an Eringar erinnerte. Das weckte die Neugier des jungen Tileters, deshalb ließ er dem Schwein an seiner Seite ein wenig mehr Leine und näherte sich dem vor ihm gehenden Sklaven, der ebenfalls eines der Packtiere führte.
»Hallo«, sagte Rai, als er nahe genug herangekommen war, »mein Name ist Rai.«
Der Angesprochene blickte sich überrascht um und runzelte dann die Stirn. »Lass deinem Sandschwein lieber nicht so viel Leine, sonst macht es noch einen kleinen Spaziergang und wir müssen es dann wieder auf den Weg zurücktreiben. Das ist kein Spaß, sage ich dir.«
Rai zuckte mit den Schultern. »Ich habe ohnehin das Gefühl, dass es macht, was es will. Wie ist dein Name?«
»Chariuk«, antwortete der Mann knapp. »Und du bist also einer der neuen Bashras unseres Herrn?«
»Ja«, bestätigte Rai, »ein Sklave für zehn Tage.«
»Nur zehn Tage?«, fragte Chariuk augenrollend. »Das ist ja gerade einmal bis zur nächsten Stadt. Ihr Bashras kommt und geht wie der Wind.«
»Na ja«, versuchte Rai zu erklären, »wir wollen zu einem Dorf, das laut Oibrin zehn Tage von Kersilon weg liegt. Und dafür, dass er uns den Weg zeigt, mussten wir uns während der Reise zu seinen Bashras machen lassen. Gefällt es dir nicht, dass wir nur so kurz bei euch bleiben?«
»Wenn man durch die Wüste zieht«, meinte Chariuk mit einem abfälligen Seitenblick, »dann muss man sich auf die verlassen können, mit denen man geht. Ein Bashra kennt aber keine Treue zu seinem Herrn, weil er ihn ja sowieso bald wieder verlässt. Wenn es zum Kampf kommt, dann retten Bashras daher zuerst ihre eigene Haut, statt den Besitz
Weitere Kostenlose Bücher