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Goldstein

Goldstein

Titel: Goldstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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interessieren, also war es auch nicht ratsam, dass seine Unterschrift mit dem heutigen Datum in den Büchern der Fahrbereitschaft auftauchte. Rath schaute auf die Uhr. Die Sonntagsmesse war pünktlich zu Ende gegangen. Er betrachtete jeden Einzelnen, der aus der Kirche kam, aber Joseph Flegenheimer war nicht darunter. Natürlich nicht. Er hatte die Kirche nicht besucht, weil er mit dem Katholizismus sympathisierte.
    Raths Kopf brummte noch ein wenig. Schorsch hatte ihm wie immer ein Bier zu viel hingestellt. Er musste wieder an den gestrigen verkorksten Abend denken. Genau genommen passte ihm der Streit mit Charly jetzt ganz gut in den Kram. Er hatte heute andere Dinge zu tun als einen netten Sonntagausflug mit Hund und Freundin. Auch Kirie musste ohne ihn auskommen, sie verbrachte den Tag mal wieder in der Obhut der Familie Lennartz. Rath hatte dem Hund nicht zumuten mögen, womöglich den ganzen Tag im Auto zu sitzen. Sich selbst eigentlich auch nicht, aber manchmal musste man eben in den sauren Apfel beißen. Beim Stichwort Apfel fiel ihm seine Marschverpflegung ein, er holte den ersten Apfel aus dem Picknickkorb und biss hinein. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er seinen Beobachtungsposten noch keine fünf Minuten eingenommen hatte.
    Eine knappe Stunde später, eine Stunde, die ihm vorkam wie drei und während der er einen Großteil seiner Vorräte bereits verzehrt hatte, hatte Joseph Flegenheimer sich nicht blicken lassen, und auch sonst war nichts Verdächtiges passiert. Rath schaute auf seine arg geschrumpften Vorräte. Eine einzige Stulle noch und ein hartgekochtes Ei waren übrig. Langeweile machte hungrig. Und vermutlich auch dick.
    Rath öffnete die Autotür. Zeit für den ersten Spaziergang zur Hauptstraße hinunter. Es war angenehm warm, ein leiser Wind wehte, ein wunderschöner Sonntag. Und er verbrachte diesen wunderschönen Tag wechselweise im Auto und in einer Telefonzelle. Tolle Aussichten!
    Er seufzte, doch ihm blieb keine andere Wahl, er musste Marlows Auftrag erledigen, wollte er heute Abend nicht gehörig Ärger bekommen. Zwar war er schon einen guten Schritt weitergekommenseit seinem Gespräch mit Lankes Informantin, aber er hatte eigentlich nicht vor, dem Unterweltboss heute Abend die arme Christine Möller zum Fraß vorzuwerfen. Eindeutig lieber wäre es ihm, Marlow eine konkrete Spur zu dem wahren Schuldigen an Hugos Tod zeigen zu können. Wenn er denn eine hätte. Zur Not könnte er Marlow immer noch Lanke liefern, aber auch bei dem überkamen Rath gewisse Skrupel. Der Kerl mochte ein Arschloch sein, aber in die Klauen von Doktor Mabuse zu geraten, das hatte auch er nicht verdient. Rath wollte nicht für zwei weitere Todesfälle verantwortlich sein, wollte nicht noch mehr Dämonen erschaffen, die ihn des Nachts heimsuchten.
    Er brauchte eine konkrete Spur, doch das Einzige, was er in der Hand hatte, war die Telefonnummer, die Christine ihm gegeben hatte. Wie oft er es mittlerweile schon versucht hatte. Nur weil diese geheimnisvolle Nummer in keinem Telefonbuch verzeichnet war.
    Probieren geht über Studieren, hatte seine Mutter immer gesagt, und so ungefähr sah auch sein Plan für heute aus: observieren und telefonieren.
    In dem verglasten Blechhäuschen war es stickig, das reinste Treibhaus. Rath hatte gerade den Hörer abgenommen und den Groschen eingeworfen, da entdeckte er ein Gesicht auf dem Gehweg der Hauptstraße, das er schon länger nicht mehr gesehen hatte und das ihm zeigte, dass er auf seinem Beobachtungsposten ganz richtig war. Im Hörer meldete sich derweil das Fräulein vom Amt. Automatisch sagte Rath die Nummer auf, die er mittlerweile schon auswendig wusste: »Amt Stephan, Anschluss siebzehnnull­eins bitte!«, und schaute der hübschen Frau nach, die nun in die Mühlenstraße bog. Sie musste eben aus der Elektrischen gestiegen sein. Das konnte kein Zufall sein, dass ausgerechnet sie hier herumlief. Seine Augen folgten ihr, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, er musste die Tür öffnen, um sie wieder sehen zu können. Er bekam gerade noch mit, wie sie tatsächlich der Kirche zustrebte, da meldete sich leicht verkratzt eine Stimme im Telefonhörer.
    »Teilnehmer.«
    Rath fühlte sich ein wenig überrumpelt, er hatte nicht damit gerechnet, so schnell jemanden an die Strippe zu kriegen, nach all den Fehlversuchen gestern und vorgestern. Er ging zurück in dieKabine und schloss die Tür, bis der Straßenlärm nur noch gedämpft an sein Ohr drang. »Mit wem

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